röhnen Das
nackte Mädchen schwang es sich breitbeinig über zwei aufeinandergestellte
Särge hinweg: der größere stand am Boden und war schwarz mit silbenen Tränen,
der obere war hellrosa lackiert und mit einander drückenden Händen, Gitterwerk
und vergoldeten Girlanden im alltäglichsten Geschmack verziert. Sie blieb vielleicht
eine Minute auf dem rosa Sarg hocken, die Schenkel
gespreizt, als sitze sie auf einem gesattelten Pferd, den Oberkörper nach hinten
geneigt, ehe sie sich auf den Deckel des unteren Sargs stemmte und leichtfüßig
den Boden gewann. Eine kleine Staubwolke stob in diesem Augenblick empor wie
Dunst auf brennend heißem Straßenpflaster; sie paßte gut zu diesem nackten Körper,
zu diesen pastellfarbenen oder rahat-lokoum-weißen Bahren, den aus Nägeln gebildeten
Arabesken, den Goldverzierungen und schuf die flüchtige Illusion eines türkischen
Bades. Die Särge zitterten mit dem leisen Dröhnen leerer
Kisten. - André Pieyre de Mandiargues, Der
Akt zwischen den Särgen.
In: A.P.M., Schwelende Glut. Frankfurt am Main 1995 (st 2466, Phantastische
Bibliothek 323, zuerst 1959)
Dröhnen (2)
Der Tag war noch nicht ganz angebrochen, doch die Nacht wurde
im Osten schon bleich und umgab mit einem grauen Saum den weiten Horizont
der belgischen Wälder. Die feuchte Morgendämmerung war kühl, und die Fußsohlen
wurden auf dem rohen Beton eiskalt. Ein gewaltiges Brummen, das langsam
zum Zenit emporstieg, drang durch die offenen Fenster. Dieses Dröhnen schien
nicht von der Erde zu stammen, es kam gleichmäßig von allen Teilen des
Himmelsgewölbes, das mit einem Mal zu einem festen Firmament geworden war,
das zu vibrieren begonnen hatte wie ein riesiges Blech. Zunächst mußte
man an ein Wetterleuchten denken oder an ein seltsames Nordlicht, bei dem
der Schall auf unerklärliche Weise an die Stelle des Lichtes getreten ist.
Was diesen Eindruck verstärkte, war die Antwort der noch von der Nacht
ertränkten Erde, auf der sich kein menschliches Wesen regte, doch die sich
hier und da durch die Stimme ihrer Tiere beunruhigte und sich zu informieren
schien. Nach Buttés zu heulten wie bei Vollmond die Hunde unaufhörlich
in der kalten Nacht, die den Schall besonders weit trug, und manchmal hörte
man über dem Baß des gleichförmigen Brummens ein alarmierendes, halb ersticktes
Gackern aus dem nahen, dichten Unterholz. Vom
Horizont her begann eine neue betäubende Welle des Dröhnens sich auszubreiten,
ohne Hast gelassen zu ihrem Höhepunkt emporzusteigen und majestätisch über
den Himmel zu rollen; diesmal hielten auch die Hunde inne: es gab nur noch
diese Woge. Dann senkte sich das Grollen, verlor
den mächtigen Einklang der großen glatten Welle und zog nur noch vereinzelt
umherschweifendes Brammen hinter sich her. Das Krähen
der Hähne brach in dem leeren Wald los, auf der erschrockenen und verlassenen
Erde: der Tag brach an. -
Julien Gracq, Ein Balkon im Wald. Frankfurt am Main 1960 (zuerst 1958)
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