ritte, Der
Und als ich mein Drama schrieb, wie irrte ich da. War ich ein Nachahmer
und Narr, daß ich eines Dritten bedurfte, um von dem Schicksal zweier
Menschen zu erzählen, die es einander schwer machten? Wie leicht ich in
die Falle fiel. Und ich hätte doch wissen müssen, daß dieser Dritte, der
durch alle Leben und Literaturen geht, dieses Gespenst eines Dritten,
der nie gewesen ist, keine Bedeutung hat, daß man ihn leugnen muß. Er
gehört zu den Vorwänden der Natur, welche immer bemüht ist, von ihren
tiefsten Geheimnissen die Aufmerksamkeit der Menschen abzulenken. Er ist
der Wandschirm, hinter dem ein Drama sich abspielt. Er ist der Lärm am
Eingang zu der stimmlosen Stille eines wirklichen Konfliktes. Man möchte
meinen, es wäre allen bisher zu schwer gewesen, von den Zweien zu
reden, um die es sich handelt; der Dritte, gerade weil er so unwirklich
ist, ist das Leichte der Aufgabe, ihn konnten sie alle. Gleich am Anfang
ihrer Dramen merkt man die Ungeduld, zu dem Dritten zu kommen, sie
können ihn kaum erwarten. Sowie er da ist, ist alles gut. Aber wie
langweilig, wenn er sich verspätet, es kann rein nichts geschehen ohne
ihn, alles steht, stockt, wartet. Ja und wie, wenn es bei diesem Stauen
und Anstehn bliebe? Wie, Herr Dramatiker, und du, Publikum, welches das
Leben kennt, wie, wenn er verschollen wäre, dieser beliebte Lebemann
oder dieser anmaßende junge Mensch, der in allen Ehen schließt wie ein
Nachschlüssel? Wie, wenn ihn, zum Beispiel, der Teufel geholt hätte?
Nehmen wirs an. Man merkt auf einmal die künstliche Leere der Theater,
sie werden vermauert wie gefährliche Löcher, nur die Motten aus den
Logenrändern taumeln durch den haltlosen Hohlraum. Die Dramatiker
genießen nicht mehr ihre Villenviertel. Alle öffentlichen Aufpassereien
suchen für sie in entlegenen Weltteilen nach dem Unersetzlichen, der die
Handlung selbst war. - Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids
Brigge. Frankfurt am Main 2000 (it 2691, zuerst 1910)
|
||
|
|
|