Drillbohrer In dieser Nacht vernahm ich eine Stimme, die mir nicht unbekannt ist, und die schrie: Zu Hilfe! Zu Hilfe! Ich sehe mich um und erblicke ein junges Geschöpf mit aufgelöstem Haar, die auf mich zustürzte. Sie wurde von einem ungestümen, schroffen alten Kerl verfolgt. Nach seinem Aufzug und Handwerkszeug zu urteilen, das er dabei hatte, war es ein Schreiner. Er trug Kniehosen und einen Kittel, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt waren, hatte kräftige Arme, gebräunte Haut, eine runzlige Stirn, einen Kinnbart, aufgedunsene Backen, funkelnde Augen, die Brust behaart, und auf dem Kopf trug er eine spitze Mütze.

- Ich sehe ihn vor mir.

- Die Frau, die er fast eingeholt hatte, schrie immer noch: Zu Hilfe! Zu Hilfe! und der Schreiner sagte, wie er sie verfolgte: »Du kannst ruhig fliehen. Du entgehst mir nicht; man soll nicht sagen, daß du als einzige keines hättest. In Dreiteufelsnamen, du sollst eines bekommen wie alle anderen.« Da begeht die Unglückliche einen Fehltritt, stürzt bäuchlings hin und schreit noch lauter: Zu Hilfe! Zu Hilfe! und der Schreiner sagt dazu: Schrei du nur, soviel du willst, du wirst eines bekommen, groß oder klein, dafür stehe ich dir gerade.« Augenblicklich hebt er ihr die Röcke hoch und macht den Hintern frei. Dieser Hintern, schneeweiß, wohlgenährt, kräftig, prall gerundet, pausbäckig, drall und dem der Frau des Oberpriesters so ähnlich wie ein Wassertropfen dem anderen.

Oberpriester: Dem meiner Frau!

Sultan:  Warum denn nicht?

Die Persönlichkeit mit den beiden Löchern fuhr fort: »Und sie war es in der Tat, denn ich habe sie wiedererkannt. Der alte Schreiner setzt ihr den einen Fuß aufs Kreuz, beugt sich nieder und legt beide Hände unten an ihre Hinterbacken, an die Stelle, wo Beine und Schenkel sich biegen, schob ihr beide Knie unter den Bauch und den Hintern in die Höhe, dergestalt daß ich ihn leicht wiedererkennen konnte, eine Erkenntnis, die mir nicht mißfiel, obgleich unter den Röcken eine verlöschende Stimme hervordrang, die Zu Hilfe! Zu Hilfe! schrie. Ihr werdet mich für seelisch grausam und hartherzig halten, aber man soll sich nicht besser machen, als man ist, und zu meiner Schande gestehe ich, daß ich in diesem Augenblick mehr Neugier als Mitleiden empfand und daß ich weniger zur Hilfeleistung aufgelegt war als dazu, mich anschauend zu versenken.«

Hier unterbrach der Oberpriester abermals den Sultan und sprach: Herr, sollte ich etwa einer der beiden sein, die da Zwiesprache halten?...

— Warum denn nicht?

— Der Mann mit den beiden Nasen?

— Warum nicht?

— Und ich, fügte das Oberhaupt der Neuerer hinzu, der Mann mit den beiden Löchern.

— Warum nicht?

»Der Schuft von Schreiner hatte sein Handwerkszeug wieder ergriffen, das er beiseite gelegt hatte. Es war dies ein Drillbohrer. Er nimmt die Bohrerspitze in den Mund, um sie zu befeuchten; er stemmt den Griff fest gegen die Magengrube und beugt sich über die Unglückliche, die immerfort schrie: Zu Hilfe! Zu Hilfe! und er schickt sich an, ihr dort ein Loch zu bohrcn, wo sie deren zwei haben sollte, wo aber keines war.«

Oberpriester: Das ist aber nicht meine Krau.

Sultan:. Der Schreiner unterbricht plötzlich seine Verrichtung, besinnt sich und sagt: »Da hätte ich beinahe gepfuscht! Aber es ist auch ihre Schuld: Warum läßt sie es nicht gutwillig geschehen? Gnädige Frau, einen kleinen Augenblick Geduld.« Er legt seinen Drillbohrer wieder auf die Erde, er zieht aus der Tasche ein blaßrosa Seidenband, hält mit dem Daumen der linken Hand ein Ende davon an der Spitze des Steißbeins fest, faltet das übrige zu einer Rinne und drückt es mit dem Rücken der anderen Hand zwischen die Hinterbacken und führt es rundum bis zum Ansatz des Unterleibs der Dame, die immerfort Zu Hilfe! Zu Hilfe! schreit, die zappelt, um sich schlägt, zur Linken und zur Rechten tobt und Band und Maßnehmen des Schreiners durcheinanderbringt, der sagte: »Gnädige Frau, noch ist es nicht Zeit zu schreien; ich tue Euch kein Leid an. Ich könnte nicht schonender verfahren. Wenn Ihr nicht aufpaßt, so gerät die Verrichtung verquer, und dann seid Ihr selbst daran schuld. Jedes Ding muß seine Stelle haben. Bestimmte Verhältnisse müssen gewahrt werden. Das ist wichtiger, als Ihr denkt. In einem Augenblick ist nichts mehr zu ändern, und Ihr werdet darüber verzweifeln.«

Oberpriester: Und Ihr vernahmt all dieses, Herr?

Sultan: Wie ich Euch vernehme.

Oberpriester: Und die Frau?

Sultan: Mir schien es, fügt der Unterredende hinzu, daß sie schon halb überzeugt war; und ich mutmaßte, aus der Entfernung, an ihren Fersen, daß sie sich darein zu schicken begann. Ich verstand nicht deutlich, was sie zu dem Schreiner sagte, aber der antwortete ihr: »Na, das nimmt doch Vernunft an; wie mühselig ist es doch, Frauen die Meinungen zu ändern!« Als er etwas ruhiger Maß genommen hatte, zog Meister Anofor sein blaßrosa Band etwa einen kleinen königlichen Fuß weit auseinander, nahm den Bleistift und sagte zu der Dame: »Wie wünscht Ihr es?«

- Ich verstehe nicht.

- Wünscht Ihr es in der alten oder in der modernen Proportion?

Oberpriester: Oh Abgründe himmlischer Ratschlüsse! wie närrisch wäre all das, wenn es nicht offenbart worden wäre! Unterwerfen wir unsere Vernunft und lasset uns anbeten!

Sultan: Ich erinnere mich nicht mehr der Antwort der Dame, der Schreiner aber antwortete und sprach: »Wahrlich, sie ist außer Rand und Band; das kann doch nichts gleichsehen. Man wird sagen: Welcher Esel hat diesen Hintern gebohrt?.. .«

Dame: Genug geschwatzt, Meister Anofor, macht es, wie ich es Euch sage . . .

Anofor: Macht es, wie ich es Euch sage! Gnädige Krau, aber ein jeder hat seine Ehre zu wahren . . .

Dame: Ich will es so haben und da haben, sage ich Euch. Ich will es, ich will es ...

Der Schreiner lachte aus vollem Halse, und glaubt Ihr, daß ich ernst blieb? Indessen zeichnet Anofor seine Linien auf das Band, bringt es wieder an seine Stelle und ruft: »Gnädige Frau, das ist unmöglich, das ist gegen den gesunden Menschenverstand. Wer immer diesen Hintern sehen wird und auch nur ein wenig Kenner ist, wird sich über Euch und über mich lustig machen. Ein jeder weiß, daß man zwischen hier und hier einen Abstand braucht, man hat ihn aber noch nie in diesem Ausmaß ausgeführt. Was zuviel ist, ist zuviel. Wollt Ihr das wirklich?. . .«

Dame: Allerdings will ich das, und Schluß damit. . .

Augenblicklich greift Meister Anofor zum Bleistift, markiert auf den Hinterbacken der Dame die Linien, die denen auf dem Bande entsprechen. Er errichtet das Lot, zuckt dabei die Achseln und murmelt ganz leise: »Wie wird das aussehen! Aber das ist ihr Einfall.« Er nimmt wieder den Drillbohrer und sagt: » Die gnädige Erau will es hier haben?«

— Ja hier, und jetzt los ...   - Diderot, Die Verräter. Frankfurt am Main  1992 (it 1379. zuerst 1747)

 

 

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