Dreigroschenständchen   »Ich lief durch die Straßen, meine Hände immer vor mir her, und betete, daß ich nach Hause käme, ins Bett, und am Morgen aufwache, ohne meine Hände sündhaft in meiner Hüftengegend zu finden. Ich schlug also die Richtung London Bridge ein - all das ist übrigens lange her, und ich sollte wirklich vorsichtig sein, sonst erzähle ich eines Tages eine Geschichte, die mein Alter verrät.

Jedenfalls stieg ich hinab, unter die London Bridge, und was sehe ich da? Ein Dreigroschenständchen. Und weißt du auch, was es mit so einem Dreigroschenständchen für eine Bewandtnis hat? Dreigroschen, das bedeutet eine schon sehr ausgediente Dame, und London Bridge ist ihr letzter Standplatz, wie der letzte Standplatz für eine grue Marseille sein mag, es sei denn, sie habe zufällig genug Taschengeld, um sich nach Singapur durchzuschlagen. Für drei Groschen, und im Stehen - das ist alles, was man noch erwarten kann. Früher schlenderten sie so dahin, ganz in Rüschen und Fetzen, mit Riesenhüten zum Bangewerden, eine Hutnadel über dem Auge und flott mitten durch die Krone gestochen, ihre Schatten halb auf dem Boden, und das andere Halb neben ihnen herkriechend, an der Wand lang, baute volee der Gosse bei ihrem letzten Rundgang, lässig auf ihrem letzten Weg zum Reitplatz, langsam dem Dunkel entlang, rafften ihre schwer mitgenommenen Volants oder standen still, schweigend und gleichgültig wie Tote; als gedächten sie besserer Tage oder erwarteten etwas, was man ihnen versprochen hatte, als sie noch kleine Mädchen waren. Ihre armen, verdammten Kleider hochgezogen und über dem Hinterteil abwärtsfallend, faltig, litzenbehangen wie das Paradepferd eines Kreuzritters, und aller Putz und Pomp im Elend verwelkt.«   - Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt am Main 1981

Stehen

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