rehbuch  Mein Film ist  nicht von schlechten Eltern. Es geht voll zwischen die Beine. Produktionsfirma mit Sitz in Luxemburg, damit die französische Zensur den Export nicht verhindern kann. Von einer Dreherlaubnis natürlich nicht die Spur. Der ganze Film wird an einem einzigen Ort hergestellt, im Landhaus eines Papier- und Pappkartonfabrikanten, Geliebter und Beschützer der Hauptdarstellerin, die eine dumme Fotze ist. Ihr Lude nennt sich Regisseur. Ein Drehbuch mit fünfzehn Seiten unter dem Titel ›Sadistische Nächte‹, ganz cool gezeichnet Walter Cocksucker, wird täglich umgeschrieben, je nach Bedarf: Kommt die Puppe eines männlichen Darstellers übers Wochenende her, wird sie gleich für zwei Drehtage eingespannt. In der Rolle einer herumirrenden Tramperin, die kaum an der Haustür geklopft hat und schon von einem geheimnisvollen perversen Typ mit dem Fuchsschwanz Stück für Stück beim Hintern angefangen, in ihre Einzelteile zersägt wird. Oder umgekehrt — eine der Schnepfen, die eigentlich bis zum Schluß dabei sein sollte, haut mit einem Libyer nach Sardinien ab. Folglich wird umdisponiert. Wir drehen die Einstellung, wo ich mit einem satanischen Lächeln auf den Lippen die Scheune betrete. Am Vortag hatten wir gedreht, wie ich auf das Tor zugehen, in der Absicht, das Flittchen ins Heu zu werfen. Jetzt aber verschwindet mein Lächeln, und im Vordergrund, ein gutes Stück über dem Boden, sieht man weibliche Füße; an der Scheunenwand erscheint der Schatten eines erhängten, nackten Körpers. Dem Zuschauer muß klarwerden, daß es das Mädchen ist. Jemand hat sie getötet. Sie kommt also im Film nicht mehr vor, man sieht bloß, wie ich später den in ein Leichentuch gewickelten Körper in einen Teich werfe. Problem gelöst.

Natürlich ist es nicht der Schatten von der Puppe, die ursprünglich diese Szene drehen sollte, da sie ja nach Sardinien verduftet ist, sondern von einer anderen, aber das ist egal. Von der Handlung kapiert sowieso niemand was.  - Jean-Patrick Manchette, Rette deine Haut, Killer. Bergisch Gladbach 1990 (zuerst 1971)

Drehbuch (2)   Woher kommen die Bilder und wohin führen sie? Die beste Antwort   liefert  das  zweite   gemeinsame Vorhaben von Buñuel und Dalí, das Drehbuch zu »Ein andalusischer Hund«. Mit diesem Film gelang Buñuel der Schritt von seinen schriftstellerischen Versuchen zum Filmemachen. Buñuel hat erzählt, wie das Drehbuch gewissermaßen vierhändig geschrieben wurde: »Dalí erzählte mir: ›Heute nacht habe ich von Ameisen geträumt, die auf meiner Hand wimmelten‹. Und ich: ›Mein lieber Mann, ich habe geträumt, daß ich jemandem das Auge durchgetrennt habe.‹ Nach sechs Tagen war das Drehbuch fertig.

Wir gingen so sehr in der Sache auf, daß es überhaupt keine Diskussionen gab. Wir arbeiteten, indem wir uns auf die ersten besten Bilder, die uns einfielen, stürzten, aber systematisch alles verwarfen, was mit Kultur und Bildung zu tun hatte. Es mußten Bilder sein, die uns überraschten, die wir beide akzeptierten, ohne lange darüber zu streiten. Zum Beispiel: Die Frau greift nach einem Tennisschläger, um sich gegen den Mann zu wehren, der sich auf sie stürzen will. Der Mann blickt suchend um sich und (jetzt rede ich mit Dalí) ›Was sieht er?‹ ›Eine fliegende Kröte.‹ ›Schlecht.‹ ›Eine Flasche Cognac.‹ ›Schlecht.‹ ›Dann sehe ich zwei Stricke.‹ ›Gut, aber was kommt nach den Stricken?‹ ›Er zieht an ihnen und fällt hin, weil er an etwas sehr Schwerem zerrt.‹ ›Das ist gut, daß er hinfällt.‹ ›An den Stricken hängen zwei große trockene Kürbisse.‹ ›Was noch?‹ ›Zwei Seminaristen.‹ ›Und dann?‹ ›Eine Kanone.‹ ›Schlecht, besser ein Ohrensessel.‹ ›Nein, ein Konzertflügel.‹ ›Gut, sehr gut, und auf dem Flügel ein Esel... nein, zwei Esel-Kadaver.‹ ›Toll.‹ - Nach Carlos Rincón, in (bun)

Drehbuch (3)  Der Zufall ist der große Meister aller Dinge. Danach erst kommt die Notwendigkeit. Sie besitzt nicht die gleiche Reinheit. Wenn ich unter all meinen Filmen für Das Gespenst der Freiheit eine besondere Zuneigung empfinde, so vielleicht deshalb, weil er dieses widerspenstige Thema angeht.

Das ideale Drehbuch, über das ich immer wieder nachgesonnen habe, müßte von einem ganz unscheinbaren, banalen Vorfall ausgehen. Zum Beispiel: Ein Bettler überquert die Straße. Er sieht, wie eine Hand aus dem geöffneten Fenster einer Luxuslimousine eine nur halb aufgerauchte Zigarre hinauswirft. Der Bettler bleibt stehen, um die Zigarre aufzuheben. Da fährt ein anderes Auto ihn an, und er ist tot.

An diesen Unfall läßt sich eine endlose Reihe von Fragen knüpfen. Warum sind der Bettler und die Zigarre einander begegnet? Was machte der Bettler zu dieser Zeit auf der Straße? Warum hat der Mann, der die Zigarre rauchte, sie gerade in diesem Augenblick weggeworfen? Jede Antwort auf diese Frage zieht andere Fragen, immer mehr Fragen nach sich. Wir gelangen an immer neue Schnittpunkte, von denen Wege zu anderen führen, in andere phantastische Labyrinthe, in denen wir uns für unseren Weg entscheiden müssen. Indem wir offen zutage liegenden Gründen folgen, die in Wirklichkeit nur eine Reihe, eine unendliche Häufung von Zufällen sind, können wir in schwindelerregender Weise, ohne anzuhalten, immer weiter zurückgehen in der Zeit, durch die Geschichte hindurch, durch alle Kulturen, bis zu den Urtierchen am Anfang.

Es ist natürlich auch möglich, das Drehbuch in die andere Richtung fortzuspinnen. Wie der Umstand, daß eine Zigarre aus einem Autofenster geworfen wird und dies den Tod eines Bettlers zur Folge hat, den Lauf der Geschichte total verändern und schließlich das Ende der Welt herbeiführen kann.   -  Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am Main 1985

 

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