Natürlich ist es nicht der Schatten von der Puppe, die ursprünglich diese
Szene drehen sollte, da sie ja nach Sardinien verduftet ist, sondern von einer
anderen, aber das ist egal. Von der Handlung kapiert sowieso niemand was. - Jean-Patrick
Manchette, Rette deine Haut, Killer. Bergisch Gladbach 1990 (zuerst 1971)
Wir gingen so sehr in der Sache auf, daß es überhaupt keine Diskussionen
gab. Wir arbeiteten, indem wir uns auf die ersten besten Bilder, die uns einfielen,
stürzten, aber systematisch alles verwarfen, was mit Kultur und Bildung zu tun
hatte. Es mußten Bilder sein, die uns überraschten, die wir beide akzeptierten,
ohne lange darüber zu streiten. Zum Beispiel: Die Frau greift nach einem Tennisschläger,
um sich gegen den Mann zu wehren, der sich auf sie stürzen will. Der Mann blickt
suchend um sich und (jetzt rede ich mit Dalí) ›Was sieht er?‹ ›Eine
fliegende Kröte.‹ ›Schlecht.‹ ›Eine Flasche Cognac.‹ ›Schlecht.‹
›Dann sehe ich zwei Stricke.‹ ›Gut, aber was kommt nach den Stricken?‹
›Er zieht an ihnen und fällt hin, weil er an etwas sehr Schwerem zerrt.‹
›Das ist gut, daß er hinfällt.‹ ›An den Stricken hängen zwei große
trockene Kürbisse.‹ ›Was noch?‹ ›Zwei Seminaristen.‹ ›Und
dann?‹ ›Eine Kanone.‹ ›Schlecht, besser ein Ohrensessel.‹
›Nein, ein Konzertflügel.‹ ›Gut, sehr gut, und auf dem Flügel ein
Esel... nein, zwei Esel-Kadaver.‹ ›Toll.‹ - Nach Carlos Rincón,
in (
bun
)
Das ideale Drehbuch, über das ich immer wieder nachgesonnen habe, müßte von einem ganz unscheinbaren, banalen Vorfall ausgehen. Zum Beispiel: Ein Bettler überquert die Straße. Er sieht, wie eine Hand aus dem geöffneten Fenster einer Luxuslimousine eine nur halb aufgerauchte Zigarre hinauswirft. Der Bettler bleibt stehen, um die Zigarre aufzuheben. Da fährt ein anderes Auto ihn an, und er ist tot.
An diesen Unfall läßt sich eine endlose Reihe von Fragen knüpfen. Warum sind der Bettler und die Zigarre einander begegnet? Was machte der Bettler zu dieser Zeit auf der Straße? Warum hat der Mann, der die Zigarre rauchte, sie gerade in diesem Augenblick weggeworfen? Jede Antwort auf diese Frage zieht andere Fragen, immer mehr Fragen nach sich. Wir gelangen an immer neue Schnittpunkte, von denen Wege zu anderen führen, in andere phantastische Labyrinthe, in denen wir uns für unseren Weg entscheiden müssen. Indem wir offen zutage liegenden Gründen folgen, die in Wirklichkeit nur eine Reihe, eine unendliche Häufung von Zufällen sind, können wir in schwindelerregender Weise, ohne anzuhalten, immer weiter zurückgehen in der Zeit, durch die Geschichte hindurch, durch alle Kulturen, bis zu den Urtierchen am Anfang.
Es ist natürlich auch möglich, das Drehbuch in die andere Richtung fortzuspinnen.
Wie der Umstand, daß eine Zigarre aus einem Autofenster geworfen wird und dies
den Tod eines Bettlers zur Folge hat, den Lauf der Geschichte total verändern
und schließlich das Ende der Welt herbeiführen kann.
- Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am
Main 1985
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