P Sie werfen ihn aus der Wagentür in ein DP-Lager wenige Kilometer weiter. Man treibt ihn in einen Drahtpferch zu 1999 anderen, die nach Westen, nach Berlin geschickt werden sollen.
Wochenlang ist er in Güterzügen unterwegs, schichtweise wie ein Affe an die
Außenwand seines zugewiesenen Waggons geklammert, während innen ein anderer
in der Strohlücke schläft, die er freigemacht hat. Bei Schichtwechsel werden
die Plätze dann getauscht. Es hilft einem, wach zu bleiben. Jeden Tag sieht
Thanatz ein halbes Dutzend DPs einnicken und vom Zug fallen, was manchmal ein
komischer Anblick ist, meistens aber nicht, obwohl DP-Humor sehr eigen sein
kann. Er wird auf Hände, Stirn und Arsch gummigestempelt, wird entlaust, gefilzt,
geknufft, benamst, beziffert, adressiert, fakturiert, fehlgeleitet, zurückgehalten,
ignoriert. Er wandert durch die papiernen Griffe von russischen, britischen,
amerikanischen und französischen Fleischverschiebern, Runde um Runde durch die
Mühle der Besatzung, lernt Huster und Gesichter wiederzuerkennen und Stiefelpaare
an den Füßen neuer Besitzer. Wer keine Lebensmittelkarte oder kein Soldbuch
hat, ist verdammt, weitergeschickt zu werden, immer in Paketen zu 2000, von
Zentrum zu Zentrum durch die ganze Zone, vielleicht bis in alle Ewigkeit. Und
so entdeckt Thanatz, irgendwo zwischen den Teichen und Zaunpfählen Mecklenburgs,
daß er von gar nichts ausgenommen ist. In seiner zweiten Nacht auf den Schienen
werden ihm seine Schuhe gestohlen. Er bekommt einen schweren Bronchialkatarrh
und hohes Fieber. Eine Woche lang kümmert sich kein Mensch um ihn. Für zwei
Aspirin muß er den Schwanz des zuständigen Sanitäters lutschen, der Geschmack
gefunden hat am Gefühl von bartstoppeligen, fieberheißen Wangen an seinen Schenkeln,
dem 40-Grad-Feuer des Atmens unter seinen Eiern. In Mecklenburg stiehlt Thanatz
einem schlafenden einarmigen Kriegsheimkehrer einen Zigarettenstummel und wird
eine halbe Stunde lang von Leuten geschlagen und getreten, deren Sprache er
noch nie gehört hat und deren Gesichter er nicht zu sehen kriegt. Käfer krabbeln
über ihn hinweg und lassen sich von seiner Anwesenheit kaum irritieren. Sein
tägliches Brot wird ihm von einer anderen Displaced Person weggenommen, die
kleiner ist als er, ihn aber anschaut, als hätte sie ein Recht auf dieses Brot.
- Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981