iskussion  Vor mir sitzen Schüler, 12- bis 15jährig, die den Film nachmittags angesehen haben. Es sind 2-3 Lehrer erschienen. Außerdem sitzt Jürgen Habermas im Raum. Ohne nachzudenken orientiere ich mich: 1. an dem, was die Schüler sagen; 2. an Autorität Habermas. Das ergibt sprachlich ein Durcheinander. Ich erkläre etwas »in einfachen Worten«, was die Schüler daraufhin selber viel komplexer ausdrücken. Andererseits rede ich von »Diskurs« wenn ich den Unterschied zwischen reden und Hautberührung meine.

Wie immer sind die Zusammenhänge des Films einfacher als das, was dazu zu sagen ist. Die Schüler helfen mir. Sie weisen auf die Vereinfachungen hin. Sie sagen, sie seien durch den Film gezwungen worden, die Gleichzeitigkeit von Bildern, Eindrücken zu sehen, im Moment war es Zwang, aber sie meinen, nachträglich betrachtet gäben sie ihre Zustimmung. Sie wüßten genau, wann sie protestieren, wenn sie nicht vorher gefragt werden und wann sie einverstanden wären. Sie wollen sich mit den Bombern näher befassen usf.

An dieser Stelle greift die Lateinlehrerin ein. Sie sei ja Lateinlehrerin und hätte den Lateintext des Knies fließend verstanden. Sie halte aber den Film unverständlich für Nicht-Lateiner. Daran haben sich die Schüler, sagen sie, nicht gestoßen. Sie sagen, das Knie könnte auch russisch oder tibetanisch sprechen, Hauptsache, es redet.

Ich erfahre daraus folgendes: 1. In jeder Diskussion steht ein Fachmann auf, der davon ausgeht, der Film sei unverständlich, weil er selber etwas verstanden hat, aber annimmt, daraufhin verstünden andere nichts. 2. Von den Nicht-Fachleuten entsteht ein Interesse besonders da, wo Bilder oder Texte des RIms nicht in Verständnis aufzulösen sind. 3. Meine Reden und Zusätze komplizieren immer, völlig unnötig, da der Film, in jedem Einzelpunkt eine äußerste Vereinfachung enthält, also: Wenn die Lebenden mit der Geschichte nicht verkehren, dann muß man die Toten fragen; wenn jede Bearbeitung des Unterrichtsmaterials nichts taugt, muß man den Rohstoff der Geschichte überprüfen usf. 4. Mir selber sind diese Erläuterungen gleichgültig. Ich würde lieber über etwas anderes reden. 5. Den Schülern geht es genauso. 6. Die Diskussion geht nach kurzer Zeit auf weitere Themen über. Ich bin zufrieden, die Schüler sind zufrieden.

Obwohl ich mehrfach zu Habermas hinrede, geht Achternbusch, den ich in der Runde für einen Lehrer hielt, über den Sprachgebrauch hinweg, nimmt nicht übel, zeigt ebenfalls Zufriedenheit, weil wir nicht am »Thema« kleben blieben. - Alexander Kluge, Die Patriotin. Texte/Bilder 1-6. Frankfurt am Main 1979

 

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