ichterin,
alte Sie hat sie bestens überlebt, auch jüngere als sie. Auch bessere
als sie. Nun wird man bald auch sie öffentlich kennen und schätzen. Sie will
auch weiterhin alle überleben, mit sich selbst ist es ihr bereits gelungen.
Auch ihre Dichtungen haben sich längst überlebt, schon vor ihrem Entstehungsdatum.
Sie hebt jeden Morgen ein kleines Werk, häßlich wie eine Schlange, glatt, schuppig,
ungenau, aus der Watteschachtel, um es herzuzeigen, und jeder dreht sofort den
Kopf zur Seite. Sie merkt es. Sie merkt es immer. Sie ist leicht beleidigt,
was dem Alter schlecht ansteht, denn jetzt treffen die großen und kleinen Leiden
nach Fahrplan ein. Auf ihre regelmäßig eingesandten Gedichte ist Verlaß. Sie
rempelt noch immer kräftig die nachdrängende schreibende Jugend von den Futterkrippen
der Kulturbüros. Sie sperrt ihnen das Wasser ab, denn sie kennt die alten und
uralten Beamten dort. Die haben keine Geheimnisse vor ihr, und wenn, so können
sie sie nicht halten, ihre Röhren tröpfeln vor den scharfen Blicken der alten
Frau. Sie gräbt den Jungen das Wasser ab, denn die haben noch viel mehr Zeit
zu verlieren und Kunst zu vernichten. Sie bildet als ihre ureigenste Aufgabe
die Natur naturgetreu ab. Die Natur trägt einen gemeinsamen Anzug mit der Kunst,
und so kann immer nur einer von den beiden vor Publikum auftreten. Diese Gedichte
werden noch gelesen werden, wenndie Schreiberin tot ist. Sämtliche Vorbilder
hat sie übertroffen, ihr gehen die Augen förmlich über, wenn sie ihres liest.
Sie ist nun älter geworden als viele ihr bekannte Künstler je gewesen sind.
Sie ist gut und besser als gut in ihrer Kunst. Als Dichterin ähnelt sie keinem,
der je bekannt geworden ist und möchte dafür belohnt werden, beachtet von den
Augen der Öffentlichkeit. Sie hat einen Blick, schmetternd wie eine Trompete.
Sie weiß viel, aber nicht zuviel. Plötzlich steht sie da im Wald und sammelt
stolz Gedichte in den Korb. Soviele Jahre trägt sie, und dieser Wald ist Kulisse.
Im Alter läßt rnan sich nicht mehr gut transportieren. Sie möchte bleiben bis
zum Schluß, wenn es möglich wäre, ein Strom, ein Tempo, Licht, wenn die Knochen
unter ihrem Gewicht zusammenbrechen. Sie glaubt, einige hohe Auszeichnungen
für ihr Werk zu verdienen, hat aber noch keine erhalten. Sie hat viele kurze
Werke verfaßt. Sie hat sich nie präzise ausgedrückt. - Elfriede Jelinek, Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr.
Reinbek bei Hamburg 1998
Dichterin,
alte (2) Das Alter hat recht und ist an
Kriegen schuld. Es wird zunehmend schlauer oder es stirbt (oder kann ein Amt
bekleiden). Diese alte Dichterin ist ja eine Menschenüberschwemmung, sie kann
gar nicht eine allein sein, nein, nicht wegen Blödheit und Geschmacklosigkeit,
aber mit solchen Gedichten! Sie schießt über die Straße hinweg und darüber hinaus.
Die Dichterin hat viel gesehen und wenig verstanden, aber sie hat immer alles
aufgeschrieben, was ihr begegnet ist. In Versen, also im rechten Maß. Der Unrat
der Kunst hat sich über ihre Lippen, ihr Kinn, ihre Brust ihre Brunst ergossen,
in verflüssigter Form. Die Menschen staunen, wenn sich einer die Mühe macht,
vor allem auf einem Gebiet, wo es im Prinzip keine Fortschritte geben kann.
Diese Frau ist ein Haufen Wortzeugs, der nie eine angemessene Form gehabt hat.
Aber ihr Werk gießt sie in die Form des Gedichts. Damit die Experten darüber
ein unzutreffendes Urteil fällen können. Sie lachen, diese Gattung (Kritiker),
dieses schwach ausgeprägte Relief, diese mit Kunststoff oder Mischgewebe Bekleideten.
Sie liefert, alles gereimt, eine eigenwillige Interpretation vom ersten Weltkrieg
und eine falsche vom zweiten. - Elfriede Jelinek, Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr.
Reinbek bei Hamburg 1998
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