ichter, abgedankter   Am Ende, am äußersten Ende der Budenreihe, als ob er sich, voller Scham, selbst aus diesem Glänze verbannt hätte, sah ich einen armen Possenreißer, buckelig, hinfällig, gebrechlich, nur noch ein Wrack, mit dem Rücken gegen einen der Pfosten seiner Hütte gelehnt, einer Hütte, erbärmlicher als die des vertiertesten Wilden, deren Armseligkeit zwei Kerzenstümpfe, tröpfelnd und schwelend, noch allzu hell beleuchteten.

Überall Freude, guter Verdienst, Prasserei, überall die Gewißheit des Brotes für morgen, überall der tobende Ausbruch der Lebenskraft. Hier das völlige Elend, das Elend, aufgetakelt, als Gipfel des Grauens, mit komischen Lumpen, in welche die Not, viel mehr als die Kunst, bunte Gegensätze hineingeflickt hatte. Er lachte nicht, der armselige Kerl. Er weinte nicht, er tanzte nicht, er fuchtelte nicht mit den Händen, er schrie nicht; er sang kein Lied, kein lustiges und kein klägliches, er flehte niemanden um Mitleid an. Er war stumm und unbeweglich. Er hatte entsagt, er hatte abgedankt. Sein Schicksal war besiegelt.

Aber welch tiefen, unvergeßlichen Blick ließ er über die Menge und über die Lichter schweifen, deren bewegliche Flut ein paar Schritte vor seinem abstoßenden Elend zum Stillstand kam! Ich fühlte wie meine Kehle von der schrecklichen Hand der Hysterie zusammengeschnürt wurde, und es war mir, als ob meine Blicke von jenen widerspenstigen Tränen verdunkelt waren, die nicht fallen wollen.

Was tun? Wozu den Unglücklichen fragen, welche Merkwürdigkeit, welches Wunder er in dieser stinkenden Finsternis, hinter seinem zerfetzten Vorhang, zu zeigen hätte? Um die Wahrheit zu sagen, ich wagte es nicht. Und, auf die Gefahr hin, daß meine Schüchternheit euer Lachen erregen sollte, ich muß gestehen, daß ich fürchtete, ihn zu erniedrigen.

Schließlich war ich gerade zu dem Entschluß gekommen, im Vorübergehen ein paar Geldstücke auf eins seiner Bretter zu legen, in der Hoffnung, daß er meine Absicht erraten würde, als ein großes, durch irgend eine Ursache hervorgerufenes Gedränge mich weit von ihm fortriß.

Und als ich mich, von dieser Vision besessen, umdrehte, suchte ich mir über meinen plötzlichen Schmerz Rechenschaft zu geben und sprach zu mir: Ich habe eben das Bild des alten Schriftstellers gesehen, der sein Zeitalter, dessen glänzender Unterhalter er war, überlebt hat; das Bild des alten Dichters, ohne Freunde, ohne Familie, ohne Kinder, erniedrigt durch sein Elend und durch die Undankbarkeit des Volkes, und in dessen Bude die vergeßliche Welt nicht mehr eintreten will. - Charles Baudelaire, Der Spleen von Paris. In: C. B., Die Tänzerin Fanfarlo und Der Spleen von Paris. Zürich  1977 (detebe 20387)

 

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