eutobold   In meinem Arbeitszimmer hängt die Totenmaske von Josef Kainz, von seinem Kollegen Otto Treßler abgenommen. Sie ist so plaziert, daß mein Blick fast jedesmal auf sie fallen muß, wenn ich ihn erhebe, und so kommt es, daß ich sie wohl mehr als hundertmal im Tage ansehe; aber jedesmal ist sie anders. Wie das Meer am Schiffskiel sich unaufhörlich anders färbt, bald orange oder fleischrosa, bald purpurrot oder glasblau und dann wieder milchweiß, giftgrün, schwefelgelb oder lackschwarz: so wechselt dieses Antlitz fortwährend auf geheimnisvolle Weise seinen Ausdruck; bisweilen sieht es aus wie der Porträtkopf eines römischen Cäsars: listig, lasterhaft und degeneriert, und gleich darauf wie das Bild eines verzückten Heiligen, vor dessen entrücktem Blick die Pforten des Paradieses aufspringen; das eine-

 Totenmaske Josef Kainz

mal zeigt es die stumpfen Züge einer uralten Frau und ein andermal die wüste Grimasse eines zynischen Komödianten; und dazwischen ist es träumender Dichter, ein grübelnder Philosoph, ein schmerzlich lächelnder Asket, ein sorglos lachender Knabe, ein still vor sich hin lächelnder Irrer, ein geil schmunzelnder Faun; hie und da ist auch dies alles zusammen, seltsam pervers und schillernd gemischt, und in manchen Augenblicken ist es nichts, gar nichts als eine leere, ausdruckslose Gipshülle.  - Egon Friedell, nach: Tintenfaß 11. Zürich 1984

Deutobold (2)  Lege ihnen einen unverständlichen Text vor und sie entdecken ihr eigenes Genie darin.   - (rp)

Deutobold (3)  

Der Schatten des Seidenschwanz war ich, erschlagen
Vom falschen Azur im Fensterglas;
Ich war der Schmutz aus aschenem Flaum, und im
Gespiegelten Himmel flog ich weiter, lebte fort.

Das Bild dieser Eingangszeilen bezieht sich offenbar auf einen Vogel, der in vollem Fluge gegen die Außenseite einer Fensterscheibe prallt, worin ein gespiegelter Himmel, dessen Farbton geringfügig dunkler, dessen Wolken um ein kleines langsamer sind, die Illusion kontinuierlichen Raums vermittelt. Wir sehen John Shade in seiner frühen Jugend vor uns, einen physisch wenig attraktiven, aber sonst aufs schönste entwickelten Burschen, bei der Erfahrung seines ersten eschatologischen Schocks, da er mit ungläubigen Fingern jenen kompakten, ovoiden Körper vom Rasen aufhebt und die wachsroten Streifen anstarrt, die die graubraunen Flügel zieren, und die graziösen Schwanzfedern, deren Spitzen so leuchtend gelb sind wie frische Farbe. - (ff)

 

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