essertmesser «Eigentlich lieben Sie sie, Herr Roquentin, Sie lieben sie wie ich: wir sind durch Worte getrennt.»
Ich kann nicht mehr sprechen, ich neige den Kopf. Das Gesicht des Autodidakten ist ganz dicht an meinem. Er lächelt selbstgefällig, ganz dicht an meinem Gesicht, wie in den Alpträumen. Ich kaue angestrengt ein Stück Brot, das ich mich nicht entschließen kann herunterzuschlucken. Die Menschen. Man muß die Menschen lieben. Die Menschen sind bewundernswert. Ich möchte kotzen - und mit einem Schlag ist er da: der Ekel.
Eine richtige Krise: das schüttelt mich von oben
bis unten. Seit einer Stunde sah ich sie kommen, nur wollte ich es mir nicht
eingestehen. Dieser Käsegeschmack in meinem Mund ... Der Autodidakt plappert,
und seine Stimme summt leise an meinen Ohren. Aber ich weiß überhaupt nicht
mehr, wovon er spricht. Ich nicke mechanisch mit dem Kopf. Meine Hand ist um
den Griff des Dessertmessers gekrampft. Ich fühle diesen Griff aus schwarzem
Holz. Es ist meine Hand, die ihn hält. Meine Hand. Ich persönlich würde dieses
Messer lieber in Ruhe lassen: wozu immer etwas anfassen? Die Gegenstände sind
nicht dazu da, damit man sie anfaßt. Es ist viel besser, zwischen ihnen hindurchzugleiten
und ihnen möglichst auszuweichen. Manchmal nimmt man einen in die Hand und ist
gezwungen, ihn so schnell wie möglich fallen zu lassen. Das Messer fällt auf
den Teller. Bei dem Geräusch fährt der weißhaarige Herr auf und sieht mich an.
Ich hebe das Messer wieder auf, drücke die Klinge auf den Tisch und biege sie.
- Jean-Paul Sartre,
Der Ekel. Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1938)
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