Der Ich    Bei Sonnenuntergang erblickte Schoppe den Spanier, der aus dem Prinzengarten, dem Ebenbilde Siebenkäs entfliehend, ihm in die Hände gelaufen kam - Er erstarrte vor des Wahnsinnigen Anblick, rief: »Herr und Gott, seid Ihr hinter mir und vor mir? seid Ihr rot und grün?« - und stürzte seitwärts in die alte Kreuzkapelle hinein, um die heilige Jungfrau kniend anzurufen. Schoppe spannte seine Kontursschwingen aus, schoß hinzu und schlug sie vor der Kapelle zusammen:-»Dreh dich um, Spaniard, ich fresse dich von vorne«, sagte er. »Heilige Mutter Gottes, hilf mir - guter böser Geist, steh mir bei, o Finsterer!« betete der Kahlkopf. - »Rutsche herum, Spitzbube, ohne weitern Spaß!« sagte Schoppe, indem er mit dem gezognen Stockdegen in der Luft von hinter, ein Hufeisen vor dessen Gesicht beschrieb. Er drehte sich elend auf den Knien herum, und der Kopf hing schlaff vom Halse herab. Schoppe fing an: »Nun hab' ich dich, Missetäter, du betest mich ohne Nutzen auf den Knien an - ich habe das Richtschwert - toll bin ich auch - in wenigen Minuten, wenn wir uns ausgesprochen haben, stech' ich gegenwärtigen Stockdegen in dich - denn ich bin ein Toller voll fixer Ideen.« - »Ach Herr,« (versetzte der Kahlkopf) »Ihr seid gewiß sehr verständig und bei Verstand und bei sich, ich bitte zu leben, es ist so große Todsünde, das Totmachen.« - Schoppe versetzte: »Von meinem Verstande ein andermal! In effigie hab' ich dich schon erschossen, nun will ich die Todsünde und den Gewissensbiß nicht umsonst herumtragen, sondern mich in natura dazutun, du Seelen-Henker, du Herz-Trepan!«

»Schoppe, Schoppe!« rief es jetzt einigemal von fernen mit Albanos Stimme. Er sah sich schnell um, nichts war zu sehen. »Guter Schoppe,« (fuhr es fort) »lasse meinen Oheim gehen!« Jetzt entbrannte Schoppe und hob den Dolch zum Stich: »Du gar zu versteinerter Bauchredner! Sollte man nicht gleich ins Zeug hincinstcchen wie in ein blessiertes Pferd? Siehst du denn nicht den höllischen verdammten Mord und Totschlag vor der Nase, deinen Pestwagen schon angespannt, das ausgepolsterte Gerippe des Todes in mein Fieisch gesteckt und jetzt die Sense heben? — Beichte, Spaniard, um Jesus willen, beichte, Fliege, eh' ich spieße, steche! Etwas präkavierst du dich doch damit vor den Teufeln in der Hölle; bist sonst drüben ein ganz ruinierter Mann.«

»Wo sitzt der Pater? Ich beichte ja wohl«, sagte der Spanier.

»Hier steht dein Galgenpater, schau die Schur«, sagte Schoppe, vom gebückten tonsuricrten Kopf den Hut abschüttelnd.

»Hört meine Beichte! - Aber nachts leidet es der Finstere nicht, daß ich die Wahrheit sage - er kommt gewiß, er holt mich, Vater, räuchert mich, wässert mich ein gegen den Teufel.«

»Stief-Beichtsohn und Dieb, bin ich dir nicht Beichtpaters und Beichtvaters genug, der dich schon einwässern wird? Sage nur, Hund, alles, ich absolviere dich und schlage dich dann tot zur Pönitenz. — Sage an, du Krönungsmünze des Teufels, bist du nicht der Kahlkopf und der Vater des Todes und der Mönch zugleich, dessen Figur voll Gas in Mola gen Himmel fuhr, und hattest Bauchrednerei und Wachsbilderei und einige Spitzbüberei bei der Hand?«

»Ja, Vater, Bauchrednerie und Wachsbildnerie, und den Spitzbuben. Aber der böse Geist war überall dabei, ich sagte oft nichts, und es wurde doch gesagt, und die Gestalten liefen.« —

»Mordian,« (sagte Schoppe, darüber ergrimmt) »faß den Hund! — Noch lügst du, du Kloak ins Paradies gegraben, noch ins Ohr der großen Parze hinein, du mimische Mumie, dein Totenkopf ohne Lippe und Zunge regt sich noch zur Lüge? O Gott, was sind deine Menschen!«

»O Pater, nicht Lügen! Aber der Finstere will sie nachts, ich habe einen Bund mit ihm angestiftet - Ich hab' ihn heute abends gesehen, er sah wie Ihr aus und grün - O Maria, o Pater, ich habe die Wahrheit gesagt, dort kommt er grün - o Pater, o Maria, und hat Eure Gestalt und ein feuriges Auge in der Hand --«

»Niemand hat meine Gestalt« (sagte Schoppe erschüttert) »als der Ich.«

»O umguck! Der böse Geist kommt zu mir - absolviere — stich — ich will wegsterben!« —

Schoppe schauete sich endlich um. Der schreitende Abguß seiner Gestalt bewegte sich her - das Feuerauge in der Hand stieg in das Gesicht - die Ichs-Larve war grün gekleidet — »Böser Geist, ich bin doch in der Ohrenbeichte, du kannst nicht her, ich bin heilig«, rief der Spanier und faßte Schoppen. Ihn faßte der Hund. Schoppe starrte die grüne Gestalt an - der Degen entfiel ihm. »Mein Schoppe,« (rief sie) »ich suche dich, kennst du mich nicht?«

»Lange genug! Du bist der alte Ich - nur her mit deinem Gesicht an meins und mache das dumme Sein kalt«, rief Schoppe mit letzter Mannes-Kraft. »Ich bin Siebenkäs«, sagte das Ebenbild zärtlich und trat ganz nahe. -»Ich auch, Ich gleich Ich«, sagt' er noch leise, aber dann brach der überwältigte Mensch zusammen, und dieser reinigende Sturm wurde ein seufzendes, stilles Lüftchen. Mit weiß werdendem Gesicht, krampfhaft sich selber die starren Augen zuziehend, stürzte er um, die spielenden Finger schienen den Hund noch anzulocken, und die Lippen wollten sich zu einem Spottwort spitzen, das sie nicht sagten - Sein Freund Siebenkäs, der nichts erraten konnte, hob weinend die kalte, festgeschlossene Hand an sein Herz, an seinen Mund und rief: »Bruder, blick auf, dein alter Freund aus Vaduz steht ja neben dir und sieht dich in der Todesnot, er sagt dir tausend Lebewohl, Lebewohl!« —

Das schien durch die dem Leben noch offnen Ohren ins brechende Herz noch süße Töne der alten lieben Zeit und heitere Träume der ewigen Liebe zu führen - der Mund fing ein kleines Lächeln an, von Lust und Tod zugleich gezogen — die breite Brust stieg noch einmal voll auf zu einem frohen Seufzer - es war der letzte des Lebens, und lächelnd blieb der Verstorbne auf der Erde zurück.

Nun hast du hienieden geendigt, strenger, fester Geist, und in das letzte Abend-Gewitter auf deiner Brust quoll noch eine sanfte, spielende Sonne und füllte es mit Rosen und Gold. Die Erdkugel und alles Irdische, woraus die flüchtigen Welten sich formen, war dir ja viel zu klein und leicht. Denn etwas Höheres als das Leben suchtest du hinter dem Leben, nicht dein Ich, keinen Sterblichen, nicht einen Unsterblichen, sondern den Ewigen, den AIl-Ersten, den Gott. -- Das hiesige Scheinen war dir so gleichgültig, das böse wie das gute. Nun ruhst du im rechten Sein, der Tod hat vom dunkeln Herzen die ganze schwüle Lebens-Wolke weggezogen, und das ewige Licht steht unbedeckt, das du so lange suchtest; und du, sein Strahl, wohnst wieder im Feuer.   - Jean Paul, Titan

 

Ich

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