azugehören   Man setzte sich im engen Zimmer, wo vor dem Fenster Günthers Schreibtisch stand. Dort hatte er zur Linken ein algendurchwachsenes Aquarium, in dem tropenfarbige Fische leuchteten. Eugen aber aß am runden Eßtisch etwas, das er noch nicht kannte: Artischocken. Frau Günther hatte sie gekocht.

Hier hast du das Gefühl, als gehörtest du dazu. Das karge Zimmer, und daß ringsum Leute wohnten, die Günther und seine Familie als ihresgleichen aufgenommen hatten, das wärmte ihn, aber schmerzhaft war es trotzdem; denn Günther gehörte nicht hierher. Doch wohin hätte er gepaßt? In eine Siedlung am Rande von Nürnberg, wo Beamte wohnten? Dafür war er zu lange außerhalb gewesen, beispielsweise in der französischen Weite. Was sich einer ausdachte (auch als Poet) und was er wußte, das harmonierte nirgends mit der Umwelt. Oder paßt du etwa zu deinem Schwager, dem Herrn Bäckermeister? Da war's für einen wie den Günther halt doch besser, wenn er hier in der Arbeitersiedlung zu Hause war; weil er - übrigens wie ein gewisser Eugen Rapp - nirgendwo dazugehörte.

Immerhin, du redest daheim Schwäbisch, und an jeder Straßenecke fällt dir etwas ein, was du erlebt hast. Du hast dort bleiben dürfen, wo du aufgewachsen bist... Günther aber war herausgerissen worden aus der Heimat. Jeder mußte sich anpassen, und schließlich gewöhnte sich der Mensch an alles. Ein gutes Zeichen, weil der Mensch, wenn er sich an anderes gewöhnen konnte, noch nicht abgestorben oder erstarrt war. Oder er war so verwöhnt, daß er sich an nichts mehr gewöhnen konnte. Vielleicht war's nicht mal schlecht, wenn man so tat, als sei man mit den anderen einig, dahinter aber etwas Abseitiges dachte.  - Hermann Lenz, Ein Fremdling. Frankfurt am Main 1988 (st 1491, zuerst 1983)


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