Damespiel   Mit der zweiten Schwester spielte mein Bruder gern Dame. Das endete meist schlimm, weil beide unbedingt gewinnen wollten. Sie spielten nicht um Geld, aber sie lieferten sich eine Art Nervenkrieg. Wenn meine Schwester gewann, durfte sie an dem kaum vorhandenen Schnurrbart drehen und ziehen, den Luis unter der Nase trug, solange er es aushielt. Und er hielt es stundenlang aus, bis er dann plötzlich aufsprang und das Damespiel und alles, was sich sonst in seiner Reichweite befand, um sich warf.

Wenn er gewann, durfte er meiner Schwester ein brennendes Streichholz an das Mäulchen halten, bis sie so weit war, ein übles Wort auszusprechen, das wir von einem der Kutscher gehört hatten. Er hatte uns erzählt, als wir noch kleine Kinder waren, wenn man einer Fledermaus die Schnauze anbrenne, sage sie: „Coño, coño." Meine Schwester weigerte sich, Fledermaus zu spielen, und die Geschichte nahm jedesmal ein schlimmes Ende.     - Conchita Buñuel, nach: Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am Main 1985

Damespiel (2) Ich will einmal Gelegenheit nehmen zu verfechten, daß die höhern Kräfte des denkerischen Intellekts weit entschiedner und fruchtbarer vom bescheidenen Damenspiel in Anspruch genommen werden als von all der bemühten Nichtigkeit des Schachs. Bei diesem letzteren, worin die Figuren verschiedene und durchaus bizarre Bewegungen haben, mit verschiedenen und veränderlichen Werten, wird fälschlich (ein nicht ungewöhnlicher Irrtum) für tiefgründig verstanden, was nur verwickelt ist, Mächtig wird hier die Aufmerksamkeit ins Spiel gerufen. Wenn sie nur einen Augenblick erschlafft, ist schon ein Versehen begangen, das Nachteil oder Niederlage bringt. Da die möglichen Züge nicht nur mannigfaltig sind, sondern vielfach voneinander bedingt, vervielfältigen sich die Folgen solcher Versehen; und in neun von zehn Fällen ist es eher der angespannter aufmerksame denn der scharfsinnigere Spieler, welcher gewinnt. Beim Damenspiel hingegen, wo die Züge gleichförmig sind und nur geringe Abweichung haben, sind auch die möglichen Folgen von Unachtsamkeit geringer, und da die bloße Aufmerksamkeit vergleichsweise unbeschäftigt bleibt, gehen alle Vorteile, die von den Parteien errungen werden, einzig auf höhern Scharfsinn zurück. Um weniger abstrakt zu sein: Stellen wir uns ein Damespiel vor, in welchem die Steine auf vier Damen reduziert sind und ein Übersehen natürlich nicht zu erwarten steht. Es ist auf der Hand, daß hier ein Sieg (wofern die Spieler einander durchaus gleichwertig sind) nur von einem kunstreichen Zug entschieden werden, kann, dem Ergebnis starker Anstrengung des Intellekts. Gewöhnlicher Hilfsquellen beraubt, versetzt sich der Analytiker in den Geist seines Gegners, identifiziert sich mit ihm und wird so nicht selten, gar auf einen Blick, der einzigen Methode gewahr (zuweilen einer wahrhaft absurd einfachen), mit welcher er irreführen oder zu Fehleinschätzungen verleiten kann.

Whist war lange für seinen Einfluß auf das bekannt, was Berechnungsvermögen heißt; und Menschen vom Intellekte höchster Ordnung haben bekanntermaßen ein scheinbar unerklärliches Vergnügen daran gefunden, indes sie Schach als nichtig mieden.  - Edgar Allan Poe, Die Morde in der Rue Morgue. In: E. A. P., Werke I. Olten und Freiburg i. Br. 1966 (Übs. Arno Schmidt, Hans Wollschläger, Hg. Kuno Schumann, Hans Dieter Müller)

 

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