amenklo Hinter
der polierten Eichentür des Damen-WCs in den Geschäftsräumen der T. Wallace
Wooly, Inc., ließ sich ein leises, immer wieder anders klingendes Geräusch
vernehmen, das in einsamer Traurigkeit die hellen, sonnigen Einrichtungen erfüllte.
Wie ein wortloses Flüstern war es, wie die herbstliche Brise, die tote Blätter
zusammenweht - oder auch wie ein gelegentlich auftretendes Leck in einer Dampfleitung.
Wären Sie eine Sekunde stehengeblieben, um den Tönen zu lauschen - wobei wir
zu Ihren Gunsten annehmen wollen, daß Sie es nicht getan hätten -, so wären
Sie vermutlich nicht imstande gewesen, Herkunft und Bedeutung des Geräuschs
zu ermitteln; wer aber ein wenig länger hingehorcht hätte, der mußte es ohne
jeden Zweifel als Laut gewordenen weiblichen Kummer identifizieren. . . Es ist
nur gut, daß wir weder wissen noch ahnen können, wieviel hochgewachsene Blondinen
in jedem beliebigen Augenblick ihre nur allzu leicht lösliche Schönheit mit
Tränen mengen, mit kleinen Taschentüchern abwischen und dabei die Schulter an
die Wand des Damen-WCs lehnen. -
Thorne Smith, Meine Frau, die Hexe. Frankfurt am Main 1989 (Fischer-Tb., Bibliothek
der phantastischen Abenteuer, zuerst 1941)
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klos klos, sein da wo klos? |
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Ernst
Jandl, die bearbeitung der mütze. Darmstadt, Neuwied 1978
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Damenklo (5) Sie beschäftigten sich beide mit kleinen Dingen. Das ganze Leben ist so, daß man sich ständig mit kleinen Dingen beschäftigt, ein Leben lang. Und dann brechen plötzlich große Dinge mitten in sie hinein. Und wo sind die kleinen Dinge, was ist aus ihnen geworden? Was waren sie?
Ihre Hand war an der Tür und legte den Riegel zurück, den Patrice vorgeschoben hatte, als sie hereingekommen waren. Patrice war irgendwo hinter ihr, legte gerade irgend etwas in den aufgeschlagenen Kosmetikkoffer zurück, wollte ihn dann zumachen und mitnehmen. Sie konnte sie verschwommen in der Chromverkleidung der Wand vor sich erkennen. Kleine Dinge. Kleine Dinge, aus denen das Leben besteht. Kleine Dinge, die aufhören... Ihre Sinne täuschten sie. Ihnen blieb keine Zeit, sich dem anzupassen, was jetzt passierte. Sie spielten ihr etwas vor. Zunächst hatte sie den flüchtigen Eindruck, daß sie etwas Falsches mit der Tür gemacht hatte, sie ganz aus den Angeln gehoben hatte. Einfach indem sie den kleinen Riegel berührt hatte. Als würde der gesamte Türblock auf sie herunterstürzen, mitsamt den Angeln aus seinem Rahmen fallen. Und doch tat er das gar nicht, er löste sich gar nicht, er brach gar nicht aus der Wandpartie heraus, in die er eingelassen war. Und so war ihr zweiter flüchtiger Eindruck, ebenso falsch und ebenso nur eine Sache von Sekunden, daß die gesamte Wand des Abteils mitsamt der Tür kippte und im Begriff war, auf sie herabzustürzen. Und auch das geschah nicht. Stattdessen schien sich die ganze Nische auf den Kopf zu drehen, sich auf einer verrückten Achse zu verschieben, sodaß sich das, was der Boden gewesen war, auf dem sie bislang gestanden hatte, plötzlich in eine senkrechte Wand vor ihr verwandelte. Die Tür war jetzt hoffnungslos außer Reichweite, eine versiegelte Falltür über ihrem Kopf.
Das Licht ging aus. Es war kein Licht mehr an, und doch waren die Sinnesbilder, die ihr durch den Kopf wirbelten, so eindringlich explosiv, daß sie mit ihrer eigenen Leuchtkraft im Dunkeln weiterglühten. Es dauerte ziemlich lange, bis sie begriff, daß um sie herum absolute Finsternis herrschte, daß sie mit ihren Augen nicht mehr sehen konnte. Nur im Nachglanz des Grauens ihrer Phantasie.
Da war auch das qualvolle Gefühl, als wären die Geleise auf einmal weich geworden, als würden sich die festen Stahlstangen zu Bändern kräuseln und als würde der Zug immer noch versuchen, ihren Krümmungen zu folgen. Der Wagen schien immer schneller hoch und runter zu rasen wie eine jäh abstürzende und hochtauchende Achterbahn. Da war ein fernes Reißen und Knirschen, das näherkam und anschwoll. Es erinnerte sie an eine Kaffeemühle, die sie zu Hause gehabt hatten, als sie klein war. Aber die zog einen nicht in ihren Rachen, zermahlte nicht alles, was sie zu fassen bekam, so wie das hier.
»Hugh!« Der körperlose Boden selbst schien es hinter ihr herauszuschreien. Nur einmal. Dann verstummte der Boden.
Es gab kleinere Eindrücke. Von Nähten, die sich öffneten, und von schweren Metallwänden, die sich über ihrem Kopf verbogen, bis die Öffnung, die sie umfaßten, nicht mehr quadratisch, sondern zeltförmig war. Die Dunkelheit erbleichte plötzlich zu einer gespenstischen Blässe, die heiß und prickelnd ihren Atem berührte. Austretender Dampf. Er verschwand gleich wieder, und die Dunkelheit kehrte mit voller Macht zurück. Ein kleines rötliches Licht flackerte irgendwo auf, weit weg. Dann verlosch auch das wieder und war ebenfalls verschwunden.
Es gab jetzt keinen Laut, keine Bewegung. Alles war still, wie im Traum, vergessen. Was war das? Schlaf? Tod? Das glaubte sie nicht. Aber Leben war es auch nicht. Sie erinnerte sich an das Leben. Noch vor ein paar Minuten war da Leben gewesen. Im Leben gab es viel Licht und Menschen und Bewegung und Laute.
Dies mußte etwas anderes sein. Irgendeine Übergangsphase, irgendein anderer Zustand, von dem man ihr bis jetzt noch nichts erzählt hatte. Weder Leben noch Tod, sondern irgend etwas dazwischen.
Was immer es war, es enthielt Schmerz. Alles war Schmerz, nur Schmerz.
Schmerz, der ganz klein begann und wuchs und wuchs und wuchs. Sie versuchte
sich zu bewegen und konnte es nicht. Ein schmales, gerundetes Etwas, das
kalt und schwitzend auf ihren Beinen lag, hielt sie unten. Es lag quer
über ihr - wie ein aus der Fassung herausgesprungenes Wasserrohr. -
Cornell Woolrich, Ich heiratete einen Toten. Zürich 1989 (zuerst 1948)
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(7) Man erlebt keine Überraschungen, der Preis steht an der
Tür und außerdem über der Tür auf der blauweißen Laterne, die abends erleuchtet
ist. Ich will ganz offen reden von den Toiletten zwischen Certâ
und dem Briefmarkenladen. Ich weiß nicht, warum diese Einrichtungen so in Verruf
geraten sind. Das läßt seitens der Menschen auf vulgäre Vorstellungen und recht
wenig Sehnsucht schließen. Blickt von der Galerie aus
doch einmal durch die spaltbreit geöffnete Tür in den Waschraum, wo diese bezaubernde
Frau sich schminkt, und begreift, daß eben dies der
Ort ist, an dem nach einer natürlichen Krise und der Verrichtung eines nicht
zu unterschätzenden Bedürfnisses die Schönheit wiederhergestellt wird. Dem Toilettemachen
mit seinen unendlichen Details habe ich schon immer gern zugesehen. Früher,
in einem großen Café, das ich täglich besuchte, hatten mir der Vorwand vager
medizinischer Studien, die ich als Kind trieb, und einige schätzenswerte Beziehungen
das Vorrecht gegeben, mich im Waschraum für Damen aufhalten zu dürfen, und ich
hielt mich gern dort auf, untätig und der einen oder der anderen gefällig, um
diese wunderbaren Verwandlungen mit anzusehen, welche
die Frauen durchmachen, die ein natürliches Bedürfnis gerade etwas mitgenommen
hat und die ihre Kunst wieder verführerisch macht. Die unendlichen Variationen
in ihrer Haltung, die verwirrende Art ihres Benehmens, ihre Verschämtheit und
ihre Schamlosigkeit bis zur Vulgarität, die sie glauben sich dann erlauben zu
können, ihre Würde manchmal, ja ihr hoheitsvolles Gebaren: ich wurde nicht müde,
an diesem Durchgangsort zu verweilen, wo die Luft von Wollust geschwängert war.
Die Verschiedenartigkeit des Verhaltens erweckte eine besondere Leidenschaft.
Oft fanden die Reisenden dieses Schnellzugs dort wortlos Gefallen aneinander
und Hände oder Lippen kamen sich näher. O dieser Mund, der sich zum Schminken
verzieht, diese Wolke von Puder und du, künstlicher Flieder, der du unter ihren
Augen vor mir erblühst! -
(ara)
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Xenija und ich rennen zur Toilette, sie schlägt ihren Rock hoch
und zieht ihre wollenen Pantalons aus, jetzt hat sie nur noch wollene Strumpfhosen
an, die den dicken Wanst und den fetten Schoß eng umspannen. Schrecklich, wie
wenig bewußt uns doch unsere eigene Häßlichkeit ist, wie oft wir anderen unseren
gefährlichen Anblick zumuten, besinnt euch, Menschen! Seht aus wie Insekten,
und verlangt Liebe! Bestimmt geht Xenijas Mann vor lauter Entsetzen fremd, wenn
er sie und die Schwiegermutter sieht, was soll auch schön sein an alten Leuten?
Alles hängt runter und schwabbelt, überall Fettwülste, Elefantenhaut und Sehnen
wie bei einer Seilbahn. Aber das ist noch nicht Alter, sondern verloschene Süße,
schimmliger Quark von vorgestern, schales Bier, wie ich in meiner Jugend mal
schrieb, als mich der Anblick eines Dekolletes entsetzte. So eine Xenija (und
auch mich) würde man im Orient in drei Lagen einwickeln, von Kopf bis Fuß, und
die Fußsohlen mit Henna einreihen! - Ljudmila Petruschewskaja,
Meine Zeit ist die Nacht. Aufzeichnungen auf der Tischkante. Berlin 1991
(zuerst 1990)
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Damenklo (13) Die Klofrau hat kein Wort herausgebracht.
Und jetzt, ich kann es mir nicht anders erklären, muß sie sich auf einmal geschämt haben. Weil sie hat sich umgedreht und ist in der Damentoilette verschwunden.
Natürlich eine blöde Situation für den Brenner. Einerseits: Soll ich ihr nachgehen, andererseits: Du gehst heute als Mann nicht so ohne weiteres in die Damentoilette hinein. Aber wie die Klofrau auch nach ein paar Minuten noch nicht herausgekommen ist und weil auch gerade keine Leute herumgewesen sind, ist der Brenner zum zweiten Mal in seinem Leben in eine Damentoilette hineingegangen.
Weil in Lofer hat er einmal eine Selbstmörderin aus dem Damenklo vom Café Moser klauben müssen. Er hat sich noch erinnert, daß die Küche direkt neben dem WC gewesen ist und daß er die ganze Zeit das Radio vom Koch herüber gehört hat. Und in dem Moment, wie er den Ausweis von der Selbstmörderin aus ihrer Geldtasche gezogen hat, hat der Udo Jürgens in der Küche «Siebzehn Jahr, blondes Haan> gesungen. Und ob du es glaubst oder nicht: Die Tote auch siebzehn Jahr, blondes Haar.
Wie jetzt der Brenner in das Damenklo vom Löschenkohl hinein ist, hat er
die Klofrau nirgends gesehen. Aber natürlich fünfzehn Kabinen, wird sie schon
irgendwo stecken. - Wolf Haas, Der Knochenmann. Reinbek bei Hamburg
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