amenbesuch
Vor einigen hatte ich Angst; denn es war ihnen nichts recht
zu machen, und ich kam mir ganz wertlos vor. Sie mäkelten höhnisch an allem
herum, und ich war ein mißratenes Kind. Sie traten sehr gewalttätig auf, angriffslustig
den Busen vorantragend, blickten sie mich über ihre
Nase von oben her an. Ja, sie schienen einen Kopf größer
als ich zu sein. Ich will sie nicht schlecht machen; in irgendeiner Weise hatten
sie wohl recht, sonst wären sie nicht zu Besuch gekommen,
doch sie erwarteten etwas von mir, was ich ihrer Meinung nach tun müßte, und
ich war froh, wenn sie wieder fort waren. Eine andere Sorte war mir mindestens
so unangenehm. Sie kamen leise schlurfend herein, ich glaube, sie trugen statt
der Schuhe Pantoffeln. Sie waren etwas gequollen; sie hatten Säcke unter den
Augen und ein schlaffes Kinn; ihr Fleisch war blaß und schwammig; ihre Bewegungen
müde und ihre Stimme einschläfernd. Sie seufzten eigentlich
nur. Es war schwer, sie wieder los zu werden, wenn
sie sich einmal im Zimmer niedergelassen hatten. Am meisten aber haßte ich eine
kleine Alte; ihretwegen habe ich manchmal das Zimmer verlassen und bin lieber
nachts durch die Straßen gelaufen. Wenn ich dann beim Morgengrauen heimkehrte,
blickte ich erst durch den Türspalt, ob sie noch da wäre. Sie sprach immer von
unten her mit mir; es war dabei ein Knick in ihrem Nacken wie bei einer Schlange,
und sie legte den Kopf etwas auf die Seite. Das sollte freundlich aussehen und
in der Tat waren ihre Worte dem äußerlichen Sinne nach auch sehr freundlich
und besorgt. Aber es gab nichts Giftigeres. - Hans Erich Nossack, Nekyia. Bericht
eines Überlebenden. Frankfurt am Main 1961 (BS 72, zuerst 1947)
Damenbesuch (2)
Damenbesuch (3)
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