Christusgattin   Es war ihr nicht schwergefallen, sich die lebensnotwendigen Mittel zu verschaffen. Durch vorsichtiges Sparen hatte Victoria von einem Weinhändler aus Antibes, einem polnischen Kavallerieleutnant in Athen und einem Kunsthändler in Rom mehr als vierhundert Pfund zusammengebracht; nun war sie in Florenz, um über den Kauf eines kleinen Modesalons auf dem linken Ufer zu verhandeln. Sie entdeckte, wie sie sich als junge Geschäftsfrau plötzlich politische Ansichten aneignete, daß sie die Anarchisten verabscheute, aber auch die Fabian Society und den Earl of Rosebery. Seit ihrem achtzehnten Geburtstag trug sie eine gewisse Unschuld zur Schau, wie ein kleines Wachslicht, dessen Flamme sie mit ihrer ringlosen, jugendweichen Hand schützte; jeden Makel hatten ihre sanften Augen getilgt, ihr kleiner Mund, ihr Jungmädchenkörper - ein Bußakt wie jeder andere auch. So also kniete sie da, ohne Schmuck außer einem Elfenbeinkamm, der unter dem englisch-dichten braunen Haar hervorblinkte. Ein Elfenbeinkamm mit fünf Zähnen: deren Form die von fünf Gekreuzigten, die alle zumindest einen Arm miteinander teilten. Keiner von ihnen war eine religiöse Gestalt: sie alle waren Soldaten der britischen Armee. Sie hatte diesen Kamm in einem der Kairoer Basare gefunden. Offensichtlich handelte es sich dabei um die Schnitzerei eines sudanesischen Kriegers, ein Erinnerungsstück an die Kreuzigungen von 1883 im Gebiet östlich des belagerten Khartum. Ihr Motiv, gerade diesen Kamm zu wählen, war möglicherweise ebenso instinktiv und unkomplex wie das jedes anderen Mädchens, das sich ein Kleid oder irgendwelchen Flitter kauft.

Sie betrachtete ihre Zeit mit Goodfellow oder den drei anderen nach ihm nicht als sündig: sie erinnerte sich Goodfellows nur deshalb, weil er der erste war. Es war nicht so, daß ihre eigene, outrierte Katholizität so einfach entschuldigte, was die Kirche als Sünde betrachtete: mehr denn einfache Sanktionierung, war es ein stillschweigendes Hinnehmen dieser vier Episoden als äußere und sichtbare Zeichen einer inneren und geistigen Gnade, deren allein Victoria teilhaftig war. Vielleicht lag es an den wenigen Wochen, die sie als Novizin verlebt hatte, in denen sie sich darauf vorbereitete, Nonne zu werden, vielleicht war es auch eine Krankheit ihrer Generation; aber irgendwie hatte sich bei der Neunzehnjährigen ein nonnenhaftes Temperament entwickelt, ein Temperament, das bald seine gefährlichste Form annahm. Und obwohl sie den Schleier nicht genommen hatte, schien sie doch der Einbildung verfallen, Christus wäre ihr Gatte und die physische Erfüllung dieser Ehe habe sich durch unvollkommene, sterbliche Ebenbilder zu vollziehen - bis zu diesem Augenblick vier. Er würde seinen ehelichen Pflichten durch so viele Beauftragte, wie es ihm richtig schien, auch weiterhin nachkommen. Es fällt nicht schwer zu sehen, wohin eine solche Einstellung führen kann: gleichgesinnte Damen in Paris nahmen an Schwarzen Messen teil, in Italien lebten sie in präraffaelitischem Glanz als die Mätressen von Erzbischöfen und Kardinalen. - (v)

 

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