Christentum  Die wüste Lasterhaftigkeit widerspricht nicht dem Christentum, das ja immer bereit ist, eine Schuld zu vergeben, und wäre sie noch so erschreckend, wäre sie selbst die Schuld eines Gilles de Rais. Vielleicht fordert das Christentum im Grunde sogar zur Sünde, zur Abscheulichkeit heraus, weil es sie in gewissem Sinne braucht, nämlich um vergeben zu können. So muß, denke ich, auch das Wort des heiligen Augustin: »Felix culpa« — glückliche Schuld — verstanden werden, das seine ganze Tragweite im unsühnbaren Verbrechen hat. Das Christentum impliziert auch diesen äußersten Grad einer Raserei in sich bergenden Menschlichkeit, und nur das Christentum macht es möglich, dies zu ertragen. Könnten wir es überhaupt verstehen, ohne die extreme Gewalttätigkeit, die in den Verbrechen eines Sire de Rais liegt?

Geht das Christentum vielleicht von der Hemmungslosigkeit einer archaischen Menschlichkeit aus? Überhaupt sollten wir in dem wahnwitzigen Christentum eines Gilles de Rais nicht weniger als in seinen Verbrechen den archaischen Aspekt dieses Mannes sehen, von dem geschrieben wurde: »... oft brach er in aller Frühe auf und ging ganz allein durch die Straßen ...«

Das Christentum, so scheint mir, fordert nicht die Herrschaft der Vernunft. Vielleicht will es auch keine Welt, in der Gewalt ausgeschlossen wäre: Es rechnet mit der Gewalt. Was diese Religion sucht, ist Seelenstärke, ohne die Gewalt nicht ertragen werden könnte. Am Ende sind die Widersprüche von Gilles de Rais ein Resümee der christlichen Situation, und eigentlich kann uns der groteske Widerspruch nicht erstaunen, daß er sich dem Teufel ergab und so viele Kinder umbrachte, wie er nur mochte, sich aber sein eigenes Seelenheil bewahren wollte ... - Georges Bataille, Gilles de Rais. Frankfurt/Main, Berlin, Wien 1975 (zuerst 1965)

 

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