holeriker
Einige Männer
sind mannhaft und haben ein starkes und dickes Gehirn. Ihre äusseren Adern,
die die Gehirnhaut umgeben, sind ziemlich roth. Ihre Gesichtsfarbe ist
recht roth, wie auf gewissen Bildern, die mit rother Farbe gemalt werden;
sie habe dicke und starke Adern, die heisses Blut von wachsgelber Farbe
bergen, und auf der Brust sind sie dick und haben starke Arme, doch fett
sind sie nicht, weil die starken Arme und Blut und Glieder ihr Fleisch
nicht zu fett werden lassen … Diese sind klug und werden von Anderen gefürchtet,
haben Umgang mit den Frauen und suchen sich von anderen Männern fernzuhalten,
weil sie die Weiber mehr lieben als die Männer. Die Gestalt des Weibes
lieben sie im Umgang so sehr, dass ihr Blut unaufhaltsam erglüht, wenn
sie eine Frau sehen oder hören oder an sie denken; ihre Augen sind wie
Pfeile, eine Frau, die sie sehen, zu lieben; ihr Gehör wie ein starker
Wind, wenn sie die Frau hören, ihre Gedanken wie starker Orkan, der über
die Erde dahinbrausen muss. Sie sind mannhafte Männer und heissen Künstler
der Fruchtbarkeit, weil sie viele Sprösslinge haben, wie ein Baum, der
von sich viele Zweige weit ausgehen lässt. Wegen ihres Feuers im Umgang
mit den Frauen sind sie wie Pfeile. Sie sind gesund und heiter, wenn sie
mit Weibern verkehren; sonst trocknen sie ein und schleichen einher, als
ob sie sterben wollen, es sei denn, dass sie in Folge wollüstiger Träume
oder Gedanken oder einer anderen perversen Sache von selbst Samen verlieren.
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Hildegard von Bingen
Choleriker (2) Man sagt von ihm: er
ist hitzig; brennt schnell auf, wie Strohfeuer; läßt sich durch Nachgeben des
anderen bald besänftigen, zürnt alsdann, ohne zu hassen, und liebt wohl gar
den noch desto mehr, der ihm bald nachgegeben hat. Seine Tätigkeit ist rasch,
aber nicht anhaltend. - Er ist geschäftig, aber unterzieht sich selbst ungern
den Geschäften, eben darum weil er es nicht anhaltend ist, und macht also gern
den bloßen Befehlshaber, der sie leitet, aber selbst nicht ausführen will. Daher
ist seine herrschende Leidenschaft Ehrbegierde; er hat gern mit öffentlichen
Geschäften zu tun und will laut gepriesen sein. Er liebt daher den Schein und
den Pomp der Formalitäten; nimmtgerne in Schutz und ist dem Scheine nach
großmütig, aber nicht aus Liebe, sondern aus Stolz; denn er liebt sich mehr
selbst. - Er hält auf Ordnung und scheint deshalb klüger als er ist. Er ist
habsüchtig, um nicht filzig zu sein; ist höflich, aber mit Zeremonie, steif
und geschroben im Umgange und hat gerne irgend einen Schmeichler, der das Stichblatt
seines Witzes ist, leidet mehr Kränkungen durch den Widerstand anderer gegen
seine stolzen Anmaßungen, als je der Geizige durch seine habsüchtigen, weil
ein bißchen kaustischen Witzes ihm den Nimbus seiner Wichtigkeit ganz wegbläst;
indessen daß der Geizige doch durch den Gewinn dafür schadlos gehalten wird.
- Mit einem Wort, das cholerische Temperament ist unter allem am wenigsten
glücklich, weil es am meisten den Widerstand gegen sich aufruft. - Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Ansicht