hirurg   Über das Neue, das Alte und die Nostalgie schrieb Herzen (im ersten Brief) ganz unbefangen: »Und wer wollte sagen, ohne sich einer himmelschreienden Ungerechtigkeit schuldig zu machen, daß es nicht auch im Vergangenen und Verschwindenden viel Schönes gab und daß es mit dem alten Schiffe zugrunde gehen müsse.« Damit nahm er Bakunin aufs Korn, und Bakunin, der Ahab der Verschwörungen, hatte sich mit Haut und Haaren der revolutionären Chirurgie verschrieben. Seine »Prinzipien der Revolution« standen unter dem Motto des chirurgischen Hippokrates: »Was Arzneien nicht heilen, heilt das Messer. Was das Messer nicht heilt, heilt das Feuer« und übertrugen es in die Schlußfolgerungen: »Mögen also alle gesunden jungen Köpfe sofort an die heilige Sache der Ausrottung des Bösen, der Läuterung und Aufklärung der russischen Erde durch Feuer und Schwert gehen und sich brüderlich mit denen vereinigen, die dasselbe in ganz Europa tun werden!« Verliebt, wie er war, in die Strenge von Feuer und Schwert und in die wenigen, die bereit schienen, sich hineinzustürzen — »ein einziger ernsthafter Mann für hundert Schlappschwänze und Schwätzer« —, hatte Bakunin sich in Sergej Netschajew vernarrt, bis er einen Schrecken bekam. Er hatte — auf Netschajew bezogen — von der »Anmut des Fanatismus« gesprochen — ein Ausdruck, der merkwürdig an Pasolini erinnert. Netschajew, dem gerade zweiundzwanzigjährigen Würgeengel mit den falschen Flügeln, hatte Bakunin vergeblich versucht klarzumachen, daß Machiavellismus, Jesuitentum und Skrupellosigkeit gegenüber dem Feind heilig, in den eigenen Reihen aber verflucht sind. (Später, aber zu spät, sollte Bakunin die Abkehr vom Jesuitentum fordern und mahnen: »Unser Volk ist kein unbeschriebenes Blatt...«) Wenn gegen den Feind »alles erlaubt ist«, war Netschajews Lösung nur konsequent: Sie verschob die Grenze zwischen Freund und Feind bis zum Außersten, bis zum Verdacht eines jeden gegen den eigenen Gefährten und gegen sich selbst. Machiavellismus ist der schmutzige Krieg, gleich, gegen wen er geführt wird: entweder — oder. (Im übrigen wurde dies im Stalinismus zu einer allgemein angewandten Regel.) Netschajew begnügte sich nicht damit, die vorgeblichen Gebote des schwarzen Jesuitentums zu übernehmen und umzukehren. Er tat weit mehr: Er schuf die Fälschung einer Fälschung. Wer ihn beschuldigt hätte: »Ihr seid Schlangen!«, hätte von ihm die Antwort bekommen: »Wir sind Schlangen!«

»Nur die widerstandsfähigsten haben Hunger und Kälte, Demütigungen und Schmach unversehrt überstanden, indem sie sich wie Schlangen zwischen den Tyrannen wanden, die über die öffentliche Ignoranz wachen; und nun sind sie überall eingedrungen und haben sich überall festgesetzt.« - Adriano Sofri, der Knoten und der Nagel. Ein Buch zur linken Hand. Frankfurt am Main 1998 (Die Andere Bibliothek 160, zuerst 1995) 

Chirurg (2)

The Surgeon Evgueni Vasilievich Pavlov in the Operating Theater, 1888

- Ilia Repin

Chirurg (3)   Als Kunst hatte die Medizin nie einen besonderen Reiz für mich, auch wenn manches mich faszinierte, vor allem die Physiologie des Nervensystems. Das ist schon was. Namentlich die Chirurgie schien mir immer unbefriedigend. Was gibt es ab- oder herauszuschneiden, das uns »heilen« könnte? Und sein ganzes Leben mit Herumschnippeln verbringen! Da sollte man lieber Koch werden, oder am besten gleich Metzger. Sicher hat es etwas Erfreuliches, zu wissen, daß man den Krebs wirklich herausgeschnitten hat und der Betreffende es noch eine Weile machen wird, aber Chirurg habe ich niemals werden wollen. Bewundernswerte Männer - ich ziehe den Hut vor ihnen. Ich kannte mal einen, der sich von jeder bösartigen Wucherung, mit der er es zu tun bekam, ein Stück abschnitt und sich hinterher damit die Achselhöhle einrieb. Warum, habe ich nie erfahren. Geschadet hat es ihm nicht, und er hat ein hohes Alter erreicht. Er hatte Phantasie, Neugier und Sinn für Humor, nehme ich an.      - (wcwa)  


Mediziner Operation

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