hamfort  NICOLAS CHAMFORT, eigentlich Sébastien Roch Nicolas, wurde am 6.April 1741 als natürliches Kind eines Geistlichen bei Clermont in der Auvergne geboren. Er kam früh nach Paris und verließ das Collège des Grassins, an dem er seine Ausbildung erhielt, mit der Würde eines Abbés, aber ohne Lust zum geistlichen Stand. Er arbeitete als Hauslehrer, zuerst 1761 in Köln, später in Paris, war eine Zeitlang Sekretär des Prinzen von Condé, verkehrte in den Salons der französischen Hauptstadt und betätigte sich als Schriftsteller. Zu seinen Lebzeiten erschienen unter anderem folgende Werke und Schriften: La jeune Indienne (Lustspiel, 1764); Éloge de Molière (1769); Le marchand de Smyrne (Lustspiel, 1770); Éloge de La Fontaine 1774); Mustapha et Zéangir (Trauerspiel, 1776); Dictionnaire d‘anecdotes dramatiques (zus. mit dem Abbé de Laporte, 1776). Außerdem verfaßte Chamfort Gedichte, Fabeln, Ballette und literaturkritische Arbeiten. 1781 erhielt er einen Sitz in der Académie Française. In der ersten Phase der Französischen Revolution war er Bibliothekar an der Französischen Nationalbibliothek. Aufgrund seiner Opposition gegen die Schreckensherrschaft unter Robespierre wurde er verhaftet, später aber wieder freigelassen. Um einer erneuten Verhaftung zu entgehen, verübte er einen Selbstmordversuch, an dessen Folgen er einige Monate später, am 13. April 1794, starb. Seine im wesentlichen zwischen 1780 und 1788 verfaßten Aufzeichnungen erschienen vollständig zuerst nach seinem Tod unter dem Titel Maximes, pensées, caractères et anecdotes in den Œvres complètes, herausgegeben von Ginguené, Paris 1795.

Nach seinem Selbstmordversuch im Jahre 1793 diktierte Chamfort blutüberströmt, aber bei vollem Bewußtsein sein Testament: »Ich, Sébastien Roch Nicolas Chamfort, erkläre, daß ich eher als freier Mann sterben, denn als Sklave mich in eine Haftanstalt zurückführen lassen wollte; und erkläre weiter, daß mir, wenn man darauf beharren sollte, mich in dem Zustand, in dem ich mich befinde, mit Gewalt dorthin zu schleppen, noch ausreichend Kraft bleibt, um zu vollenden, was ich begonnen habe. Ich bin ein freier Mann; nie wieder wird man mich lebendig in ein Gefängnis schaffen.« - (Chamfort)

Chamfort (2)  Daß ein solcher Kenner des Menschen und der Menge, wie Chamfort, eben der Menge beisprang und nicht in philosophischer Entsagung und Abwehr seitwärts stehenblieb, das weiß ich mir nicht anders zu erklären als so: Ein Instinkt war in ihm stärker als seine Weisheit und war nie befriedigt worden, der Haß gegen alle Noblesse des Geblütes: vielleicht der alte, nur zu erklärliche Haß seiner Mutter, welcher durch die Liebe zur Mutter in ihm heilig gesprochen war, — ein Instinkt der Rache von seinen Knabenjahren her, der die Stunde erwartete, die Mutter zu rächen. Und nun hatte ihn das Leben und sein Genie, und ach! am meisten wohl das väterliche Blut in seinen Adern, dazu verführt, eben dieser Noblesse sich einzureihen und gleichzustellen — viele, viele Jahre lang! Endlich ertrug er aber seinen eigenen Anblick, den Anblick des "alten Menschen" unter dem alten Regime nicht mehr, er geriet in eine heftige Leidenschaft der Buße, und in dieser zog er das Gewand des Pöbels an, als seine Art von härener Kutte! Sein böses Gewissen war die Versäumnis der Rache. — Gesetzt, Chamfort wäre damals um einen Grad mehr Philosoph geblieben, so hätte die Revolution ihren tragischen Witz und ihren schärfsten Stachel nicht bekommen : sie würde als ein viel dümmeres Ereignis gelten und keine solche Verführung der Geister sein. Aber der Haß und die Rache Chamforts erzogen ein ganzes Geschlecht: und die erlauchtesten Menschen machten diese Schule durch. Man erwäge doch, daß Mirabeau zu Chamfort wie zu seinem höheren und älteren Selbst aufsah, von dem er Antriebe, Warnungen und Richtersprüche erwartete und ertrug, — Mirabeau, der als Mensch zu einem ganz anderen Range der Größe gehört als selbst die ersten unter den staatsmännischen Größen von gestern und heute. — Seltsam, daß trotz einem solchen Freunde und Fürsprecher — man hat ja die Briefe Mirabeaus an Chamfort — dieser witzigste aller Moralisten den Franzosen fremd geblieben ist, nicht anders als Stendhal, der vielleicht unter allen Franzosen dieses Jahrhunderts die gedankenreichsten Augen und Ohren gehabt hat. Ist es, daß letzterer im Grunde zuviel von einem Deutschen und Engländer an sich hatte, um den Parisern noch erträglich zu sein? — während Chamfort, ein Mensch, reich an Tiefen und Hintergründen der Seele, düster, leidend, glühend, — ein Denker, der das Lachen als das Heilmittel gegen das Leben nötig fand und der sich beinahe verloren gab an jedem Tage, wo er nicht gelacht hatte, — vielmehr wie ein Italiener und Blutsverwandter Dantes und Leopardis erscheint als wie ein Franzose! Man kennt die letzten Worte Chamforts: „Ah! mon ami", sagte er zu Sieyès, „je m'en vais enfin de ce monde, où il faut que le cœur se brise ou se bronze —". Das sind sicherlich nicht Worte eines sterbenden Franzosen!  - (frw)
 
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