Canneloni in Olevano

... in questa solitudine . . .
e la cittade oscura
L. Tieck

In jeder Jahreszeit Gewehre und Schüsse.
Die Schrotpatronen kommen aus Deutschland.
Sie sind im Lebensmittelladen einzeln

zu kaufen, Rauch den ganzen Tag.
Vor den Häuserwänden, die zerfallen,
wehen die Klamotten . . . Hemden, Bettlaken,

schwarze Büstenhalter, Strumpfhosen im Februar,
Trauer im März, Ludwig Tieck! Eines Morgens,
um 10, steht eine Braut frierend auf der Straße,

abgerückt von den Männern, die reden, allein,
mit einem winzigen Strauß künstlicher Blumen
in der Hand und macht genau dasselbe Bild

wie tags vorher ein Foto in der Fotorornanze,
die um den frischen Salat gewickelt wurde.
Wird es gleich schneien? So weiß flattert

das geliehene Weiß im Vormittagslicht
um den Körper, und ist doch nur ein Fleck
am matschigen Wegrand neben den Bäumen, die

abgesägt sind. Auf jedem Dach sind Fernsehantennen,
obwohl viele Häuser erledigter aussehen als die
Hühnerställe dahinter, zwischen denen sich später,

um 11, ein Begräbniszug den Berg hinauf bewegt,
der viel zu bunt ist mit den Leuten, die zwischen den
Plastikfetzen, Rock'n'Roll-Musik aus der Elektro

Werkstatt an der Kirche, zerbrochenen Porzellan
Waschbecken, rostigen Eimern, Draht, Gestrüpp und
Wellblech gehen, als daß er düstere Wege zieht, und

nicht einmal die Asche, am Wegrand hingekippt,
erinnert an Asche oder die Eisschicht auf
den Steinen trotz der frühlingshaften Kälte.

Ein Autowrack, stehengelassen am Ausgang des
Ortes, sinkt in den Boden zurück. Es scheint
wie eine Erinnerung. Vielleicht hast du

dort gesessen, Ludwig Tieck, und schriebst,
In questa solitudine, oevor du vom Blatt Papier
aufgeblickt hast. Jetzt, da alles noch blätterlos

ist, wirkt die Landschaft modern wie Kunst,
Ars Povera. Ich kann durch sie hindurchschauen wie
durch die elektrische Glühbirne, die über dem

Abhang hängt, kahl, nackt, ausgespannt zwischen
zwei Bäumen an der niedrigen Steinmauer, auf
der ein vom Regen aufgeweichter Comic liegt,

571 Meter hoch, mit japanischen Kamikazepiloten,
die italienisch fluchen, La cittade oscura,
Ludwig Tieck, in amerikanischer Lizenz.

2.

Abends stiegen wir den lehmigen Pfad
wieder hinunter, ein Kind, eine Frau, ein Mann,
die Roberts kleine Schuhe sangen, zurück

in den Ort, manchmal stolpernd und rutschend
in der Dämmerung durch die Reihen blattloser
Stöcke, die aus dem Boden kriechenden

Fasern, sauber durchgearbeitet, runter
geschnitten, vorbei an dem Friedhof, wo die
Eidechsen nachmittags lautlos sich sonnten,

über die Zypressen hoch in der Luft schwebte
ein leuchtendes rosa Licht, weiter und weiter.
Der Schuppen mit Fässern, Kreidestrichen, Pfützen

und Flaschen, grünen Glasscherben in der Ecke,
unterhalb des Friedhofs, war wieder geschlossen.
Weit weg düsterte Westdeutschland dahin, der

Albtraum, zusammengefallen, rauchende Industrie,
Schlacke, atemloses Land, zog man die Industrie
ab, was blieb dann davon? Kein Gedanke daran,

als wir vorübergingen, abwärts,
wo die Frauen mit den Bündeln trockener
Ranken gingen, auf dem Kopf, für das Herd

Feuer, in dem versteinerten Ort, mit den
Treppen. Vittorio war in Cincinatti, Ohio
und Nebrasca gewesen. Er erzählte davon,

sobald er die Deutschen sah. Seine Art
freundlich zu ihnen zu sein, war, vom Krieg
zu erzählen in brockenhaftem Englisch, Take

three, take four, take five years long, an den
Fingern nachgezählt, durch die ägyptische Wüste
dann fort, während Mario, der Bruder, den Wein

mit dem Stück Gummischlauch aus dem Faß ansog.  
Durch die Schuppentür blickten sie hinaus
in das Licht über dem Tal, ein farbiger Raum.

Maleens Gesicht war weich und hell in dem hellen
Halbdunkel, ruhig zwischen den Hügeln
und mühelos schön in der Stille, die durch das

erfundene Lied noch weiter und einfach wurde.
Dann begann der Asphaltweg, dicht am Hügel gebaut.
Ein Neubau mit vereinzelten Lichtern darin war

der Anfang des Dorfes. Wir bogen am dunklen Fiat
den kurzen, steilen Weg zum Haus ein, an der Bruch
Steinmauer entlang, auf der im elektrischen Licht

die Spuren von Schnecken glänzten, winzige Labyrinthe.
Nach einem längeren Gehen, in der Stille, wird der Körper
ein großer Raum, hell, der ins Haus tritt. Wie einfach

das erste Zimmer ist, wie genau die Dinge darin,
zum Gebrauchen, ohne Hast. Jetzt, da die Dunkelheit
dichter geworden war, wurde der Ort lebhaft. Wir

gingen den Trampelpfad runter, die Läden waren
geöffnet. Unter einem Auto lag
Stalin, kurzsichtig, und grinste. Er kannte den Trick,

ein Streichholz zwischen den Fingerspitzen zum
Aufflammen zu bringen. Die Männer standen zusammen
und redeten Buena Sera, als wir hinabgingen zum

Restaurant in der Nähe des Kinos, das die ganze
Woche dunkel und abseits bleibt, um dann, am Samstag
und Sonntag zu zeigen, was sie in Rom farbig ficken.

Was ich meine, ist, daß schwierig ist zu
beschreiben, wie gut Cannelonis schmecken, die heiß,
leise zischend, auf heißen Tellern nach einiger

Zeit Wartens in den großen, kalten Saal gebracht werden,
wo die Spiegel abgeblättert sind und der Gasofen nicht
sehr wärmt, und es ist gut, sich gut zu fühlen,

In questa Solitudine,
Ludwig Tieck, Anfang März, in Olevano.

 
- (westw)
 

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