alifornier
Der Californier am Rande der Welt, in seinem unfruchtbaren Lande,
bei seiner dürftigen Lebensart, bei seinem wechselnden Klima, er: klagt nie
über Hitze und Kälte, er entgeht dem Hunger, wenn auch auf die schwerste Weise,
er lebt in seinem Lande glücklich. «Gotl allein weiß», sagt ein Missionar, «wie
viel tausend Meilen ein Californier, der achtzig Jahr alt worden, in seinem
Leben herumgeirret hat, bis er sein Grab findet. Viele von ihnen ändern ihr
Nachtquartier vielleicht hundertmal in einem Jahre, daß sie kaum dreimal nach
einander auf dem nämlichen Platz und in der nämlichen Gegena schlafen. Sie werfen
sich nieder, wo sie die Nacht überfällt, ohn alle Sorge wegen schädlichen Ungeziefers
oder Unsauberkeit des Erdbodens. Ihre schwarzbraune Haut ist ihnen statt des
Rockes und Mantels. Ihre Hausgeräte sind Bogen und Pfeil, ein Stein statt des
Messers, ein Bein oder spitziges Holz, Wurzeln auszugraben, eine Schildkrötschale
statt der Kinderwiege, ein Darm oder eine Blase, Wasser zu holen, und endlich,
wenn das Glück gut ist, ein aus Aloe-Garn wie ein Fischernetz gestrickter Sack,
ihren Proviant und ihre Lumpen umherzuschleppen. Sie essen Wurzeln und allerlei
kleine Samen sogar von dürrem Heu, die sie mit Mühe sammlen und bei Hungersnot
selbst sogar wieder aus ihrem Kot auflesen. Alles was Fleisch ist und nur Gleichheit
mit demselben hat bis auf Fledermäuse, Raupen und Würmer, ist ihre festliche
Speise, und sogar die Blätter einiger Stauden, einiges junge Holz und
Geschoß, Leder, Riemen und weiche Beiine sind von ihren Lebensmitteln nicht
ausgeschlossen, wenn sie die Not dazu treibet. Und dennoch sind diese Armseligen
gesund: sie werden alt und stark, so daß es ein Wunder ist, wenn einer unter
ihnen, und dieses gar spät, grau wird. Sie sind allezeit wohlgemutet: ein ewiges
Lachen und Scherzen regiert unter ihnen; Wohlgestalt, flink und gelenkig: sie
können mit den zwei vordern Zehen Steine und andre Dinge vom Boden aufheben,
gehen bis ins höchste Alter kerzengerade; ihre Kinder stehen und gehen, ehe
sie ein Jahr alt sind. Des Schwätzens müde, legen sie sich nieder und schlafen,
bis sie der Hunger oder die Lust zum Essen aufweckt; sobald sie erwacht sind,
geht das Lachen, Schwätzen und Scherzen wiederum an; sie setzen es fort auf
ihren Wegen, bis endlich der abgelebte Californier seinen Tod mit gleichgültiger
Ruhe erwartet. -
Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit
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