ußfertigkeit  Im ersten Schuppen, zu dem wir kamen, brachte der Prediger grade einen Choral bei. Er sprach zwei Zeilen vor, alles sang sie nach, und es war ziemlich erhebend, ihnen zuzuhören; es waren so viele Leute da, und sie sangen so mitreißend; dann sprach er die nächsten zwei Zeilen, und sie sangen sie wieder nach - und so weiter. Die Leute wachten immer mehr auf und sangen lauter und lauter; und gegen Ende fingen ein paar an zu stöhnen und andere jauchzten. Dann hob der Prediger an zu predigen, und es war ihm sehr ernst damit. Er schritt erst zur einen Seite der Plattform und dann zur andern, und dann lehnte er sich herab über die Brüstung, seine Arme und sein Körper immerzu in Bewegung, und schleuderte mit aller Kraft seine Worte hervor; und alle Augenblicke hielt er seine Bibel in die Höhe und schlug sie auf und präsentierte sie nach allen Seiten, indem er rief: »Das ist die eherne Schlange in der Wüste! Schaut sie an und lebt!« Und die Leute schrieb »Gott die Ehre!« - A-amen!« Und er fuhr fort, während die Leute stöhnten und weinten und Amen riefen: »Oh, kommt zur Bank der Büßer! Kommt, schwarz vor Sünde! (Amen!) Kommt, ihr Kranken und Betrübten! (Amen!) Kommt, ihr Lahmen und Krüppel und Blinden! (Amen!) Kommt, ihr Armen und Bedürftigen, in Schande Gesunkenen! (A-a-men!) Kommt ihr alle, die ihr mühselig und beladen seid und die ihr Leid tragt! — Kommt mit verstörtem Geiste! Kommt mit zerknirschtem Herzen! Kommt in euren Lumpen, in Sünde und Schmutz! Die Wasser, die euch reinigen, sind für alle da, die Tür zum Himmelreich steht offen - oh, tretet ein und habt Frieden!«

(A-a-men! Gott die Ehre! Halleluja!) Und so weiter. Man konnte vor lauter Geschrei und Weinen gar nicht mehr verstehen, was der Prediger sagte. Überall in der Menge erhoben sich Leute und bahnten sich mit aller Kraft einen Weg zur Bank der Büßer, während ihnen Tränen übers Gesicht strömten; und als alle Bußfertigen bei den vorderen Bänken versammelt waren, sangen sie und jauchzten und warfen sich nieder aufs Stroh, ganz außer sich und von Sinnen.  - Mark Twain, Huckleberry Finn. Frankfurt am Main 1975 (zuerst 1884)

Bußfertigkeit  (2) »Ich nehmen Schuld! Ich sagen Wahrheit!« protestierte Kay, und dann, die Wertlosigkeit eines solchen Geständnisses erkennend, brach sie in hilflose Tränen aus.

»So ist's recht, heul dir deinen gottverdammten Kopf ab!« brüllte Arlie. »Das wird verteufelt viel helfen!«

Kay schluchzte wieder, daß es ihr leid täte. Sie wiederholte es wieder, zerknirscht hinzufügend, daß sie sehr schlecht sei, böse alte Squaw und dringend gräßliche Bestrafung verdiene. »Du schlagen doll meine Arsch?« bat sie tränenerstickt. »Dann wieder guter, alter Ehemann?«

»Scheiße was, du blöde Squaw!«

»B-bi-hi-hitte«, bettelte Kay und fummelte an ihrem Gürtel. »Bitte Arsch hauen, machen alles wieder hokay!«

Schluchzend, den kleinen Kopf gesenkt, öffnete sie ihre Gürtelschnalle, ließ die Hose bis auf die Knöchel hinabrutschen. Mit den Händen hob sie das kurze Unterhemd, fegte die gewölbte goldbraune Gegend unter ihrem Nabel frei.

Und stand dort und weinte, als breche ihr Herz. Hilflos schluchzend, aber hoffend, daß Arlie alles »hokay machen« würde. Ein Kind im Körper einer Frau. Ein Kind, das von seiner Umgebung dazu gezwungen wurde, eine Frau zu sein.

Und schließlich legten sich Arlies Arme um sie, und mit barscher Zärtlichkeit nannte er sie seine alte Squaw und befahl ihr, mit dem Weinen aufzuhören, bevor ihre Socken naß würden.

»Wülste, daß die Leute denken, du hättet reingeschifft?« neckte er sie liebkosend. »Also gottverdammt, sie könnten denken, daß du immer noch 'n Wickelkind bist, un' ich könnte dich nich' mehr vögeln.«

Kay schniefte, kicherte schluchzend. Machte unschuldig gotteslästerliche Bemerkungen zu den Späßen ihres Ehemannes. Arlie küßte ihren Kopf, seine Lippen streiften den schneeweißen Scheitel zwischen ihren straff geflochtenen Zöpfen. Er gab ihr einen Klaps auf das nackte Hinterteil. Dann kniete er nieder, zog ihre Hose wieder hoch und schloß energisch den Gürtel. - (thom2)

Bußfertigkeit  (3)  Den späteren Papst Nikolaus II., dem er im übrigen gewogen war, hielt Petrus Damiani der öffentlichen Geißelung für würdig, weil dieser einmal nachts in einer Herberge öffentlich Schach gespielt hatte.

Die leidenschaftliche Bußgesinnung predigte er jedoch nicht nur anderen, sondern unterzog sich selbst unbarmherziger Züchtigung. Stets trug er unter dem Gewand einen eisernen Bußgürtel, fastete streng, schlief wenig und speiste täglich Arme an seinem Tisch. Wollüstige Versuchungen bekämpfte er, indem er so lange in eiskaltes Wasser eintauchte, bis sein Körper völlig erstarrt war. Von Mönchen und Nonnen forderte er die regelmäßige Selbstgeißelung, wie er sie an sich selbst mit nie erlahmendem Eifer vollzog. Nach seiner Lehre galt das Absingen von 10 Psalmen mit 1000 Streichen für ein Jahr Buße und das Absingen des gesamten Psalters mit den damit verbundenen Streichen für fünf Jahre Buße.

Dabei hielt er es für unerläßlich, daß die Züchtigung im Zustand völliger Nacktheit zu erfolgen habe. - Albert Christian Sellner, Immerwährender Heiligenkalender. Frankfurt am Main 1993

Bußfertigkeit  (4)  Die Burgkirche befindet sich am oberen Ende einer langen Treppe. Der alte König kommt die Treppe herunter und gehet einer Herde von ausgemergelten Leuten entgegen, die sich unter großer Mühe die Treppe hinaufschleppt. Alle hinken und humpeln. Männer und Frauen mit nur einem Bein oder nur einem Arm, manchmal auch mit keinem von beiden. Einigen fehlt nur eine Hand oder ein Fuß, anderen ein Ohr oder die Nase. Einer ist unter ihnen, der keinen Mund mehr hat. Auf der Treppe kommen sie nur schleppend weiter, krümmen sich vor Kälte und richten ihre Augen gelegentlich zum Himmel empor, das heißt nur die, welche noch Augen haben. Der König geht die Treppe langsam herunter und wendet sich mit schmerz- und reueerfüllter Stimme bald an den einen, bald an den anderen.

»Entschuldige, wenn ich dir die Ohren aus einer Laune heraus abgeschnitten habe.« »Ich vergebe dir.«

»Entschuldige, wenn ich dir in einem Wutanfall die Augen mit dem Finger herausgerissen habe.« »Ich vergebe dir.«

»Hab Erbarmen mit mir, wenn ich dir die Beine habe absägen lassen, weil du mir zu groß vorgekommen warst.«

»Ich vergebe dir.«

»Entschuldige, wenn ich dich in einer Kiste habe auf­wachsen lassen, weil ich wollte, daß du ein Zwerg werden solltest.«

»Ich vergebe dir.«

»Entschuldige, wenn ich dich das Feuer mit der Zunge habe auslöschen lassen.«

Die Antwort dieses Menschen, der natürlich keine Zunge mehr zum Reden hat, besteht in einer Handbewegung. Und nach ihm verzeihen auch die anderen dem König die von ihm begangenen Schurkereien. Niemand beklagt sich. So gelangt der König ans Ende der Treppe und entfernt sich, indem er sich selbst ohrfeigt.  - Luigi Malerba, Tonino Guerra: Von dreien, die auszogen, sich den Bauch zu füllen. Roman aus dem Jahre 1000. Berlin 1996

 

Gewissen, schlechtes Unterwürfigkeit Buße

 

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