ulle  Der Erste war bekanntlich Zeus. Er trug sie herüber, die schöne Prinzessin, in der typischen Macho-Gestalt eines Stiers. Die Namensgeberin des uns gemeinsamen Kontinents, er kaperte sie an Phöniziens Gestaden, jenem Küstenstrich, in den sich heute Syrien und der Libanon teilen. Mit anderen Worten, das Mädchen war nicht nur Trophäe, erotische Beute, geraubte Gespielin des jungen Bullen. Die Schöne kam von der anderen Seite, vom gegenüberliegenden Meeresufer — aus dem Morgenland. Ihre Heimat lag am äußersten Westrand desjenigen Erdteils, den man seither als Asien kennt.

Hören wir, wie der Mythos ihrer Entführung in Ovids eleganter Version aus den "Metamorphosen" klingt. "Und wen sie beschwert da, nicht ahnend / Wagt sich die Königsmaid auf den Rücken des Stieres zu setzen. / Plötzlich der Gott lenkt den Schrift seiner täuschenden Füße / Fort vom trockenen Ufer, vom Land in die vordersten Wellen." Drüben angekommen, davon schweigt Ovid sich aus, tat der Gott mit ihr, was er am allerliebsten tat, und überließ sie dann ihrem weiteren Schicksal. Es sei dahingestellt, ob der jungen Dame die Nominierung zum Playmate eines ganzen Kontinents ausreichend Trost war für Entführung, Vergewaltigung und schließlich ein Leben im Exil. Fest steht nur, dass ihr Fall eine überraschende Wende nahm, die zum Musterbeispiel dafür wurde, wie man Markenzeichen lanciert. Selten war ein Mädchenname so folgenreich. So unergründlich auch, folgt man den Philologen, der Zusammenhang zwischen der Königstochter und der schließlichen Benennung des Erdteils nach ihr ist, es bleibt dabei. Sie gab den Rufnamen her, der uns bis heute das Erkennungswort liefert, der so länderübergreifend und regionenumfassend gilt, dass er im Weltatlas eine eigene Rubrik einnimmt. Und neuerdings bezeichnen wir sogar eine gemeinsame Geldwährung nach ihm. -  Durs Grünbein, Spiegel 5 / 2003

Jupiter Stier
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