Bürgerkrieg  Wenn Du Barcelona sehen könntest, wie es heute ist, mit Barrikaden übersät und mit in Brand gesteckten Kirchen dekoriert, von denen nur noch die Grundmauern stehen, wurdest Du Dich mit mir begeistern. Übrigens geht es los, sobald man die Grenze überschritten hat. Das erste Haus, das man auf spanischem Boden sieht eine große, von einem Park umgebene Villa, ist vom Arbeiterkomitee Puigcerda beschlagnahmt. Wenn man dieses Dorf betritt, hört man ein Donnergrollen. Das ist eine Kirche, die die Arbeiter nicht nur angesteckt haben, sondern jetzt auch mit einer Wut und einer Freude niederreißen, die eine Augenweide ist. Ausgebrannte und ihrer Glocken beraubte Kirchen gibt es überall in Katalonien zu sehen, während der ganzen Fahrt mit dem scheußlichen Bummelzug, den ich von Puigcerda nach Barcelona genommen hatte; es war mir wie eine wunderbare Promenade vorgekommen. - Benjamin Péret am 11. August 1936 an André Breton, In: b. P., Die Schande der Dichter. Prosa, Lyrik, Briefe. Hamburg 1985 (Edition Nautilus)

Bürgerkrieg (2)  Es empfahl sich, jedermann zu duzen, jedem Satz ein kräftiges compañeros nachzuschicken, wenn man sich an Anarchisten wandte, und ein camaradas, wenn die Gesprächspanner Kommunisten waren. Über viele Autos hatte man zum Schutz gegen Heckenschützen ein oder zwei Matratzen gebunden, und es war außerordentlich gefährlich, beim Abbiegen die Hand auszustrecken, weil die Geste als Faschistengruß verstanden werden und eine kräftige Salve zur Folge haben konnte. Die señoritos, die Söhne aus guter Familie, bemühten sich, ihre Herkunft durch abgerissene Kleidung zu verbergen. Sie setzten sich Mützen auf und machten ihre Anzüge schmutzig, um, so gut es ging, wie Arbeiter auszusehen, während andererseits die Kommunistische Partei den Arbeitern empfahl, Krawatte und weißes Hemd anzulegen.   -   Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am Main 1985

Bürgerkrieg (3) Manche Gesten fand ich verrückt und großartig, wie die der Arbeiter, die sich eines Tages auf einen Lastwagen klemmten und zum Denkmal des Heiligen Herzens Jesu, zwanzig Kilometer südlich von Madrid, fuhren. Sie bildeten ein Erschießungskommando und erschossen in aller Form die hohe Christusstatue.  -   Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am Main 1985

Bürgerkrieg (4) Man darf andererseits nicht glauben, die Priester hätten nicht auch ihre Rolle im Kampf gespielt. Wie alle anderen, so griffen auch sie zu den Waffen. Einige schossen von ihren Kirchtürmen herunter, und man hat sogar Dominikaner mit Maschinengewehren schießen sehen. Einige Mitglieder des Klerus haben sich auf die republikanische Seite gestellt, aber die Mehrheit war eindeutig faschistisch. -   Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am Main 1985

Bürgerkrieg (5)

Bürgerkrieg (6)  Bei Beginn der Unruhen erhielt die Guardia Civil den Befehl, Calanda zu verlassen und sich in Saragossa zu sammeln. Ehe sie abzogen, übergaben die Offiziere die Macht und die Verantwortung für Ruhe und Ordnung im Ort einer hauptsächlich aus den Notabein bestehenden Ratsversammlung.

Die hatte zunächst nichts Eiligeres zu tun, als ein paar notorische Aktivisten einzusperren, darunter einen allgemein bekannten Anarchisten, ein paar sozialistische Bauern und den einzigen Kommunisten, den •es in Calanda gab.

Als bei Kriegsbeginn die anarchistischen Truppen Barcelona erreichten und Calanda bedrohten, begäben sich die Notabein ins Gefängnis und erklärten den Gefangenen:

„Wir befinden uns im Krieg und wissen nicht, wer gewinnen wird. Deshalb schlagen wir euch einen Pakt vor. Wir lassen euch frei, und wir, die Bewohner von Calanda, verpflichten uns gegenseitig, wie immer der Kampf auch ausgehen mag, alle Anwendung von Gewalt zu vermeiden."

Die Gefangenen waren sofort einverstanden und wurden auf freien Fuß gesetzt. Als die Anarchisten ein paar Tage später in den Ort eindrangen, erschossen sie zuerst einmal zweiundachtzig Personen. Unter den Opfern waren neun Dominikaner, die meisten der Honoratioren — ich habe später die Liste gesehen —, Ärzte, Grundbesitzer und sogar einige eher arme Leute, deren einziges Verbrechen ihre Frömmigkeit gewesen war.

Der Pakt hatte Calanda aus dem gewalttätigen Gang der Welt heraushalten, es in einer Art begrenztem Frieden außerhalb des Konflikts isolieren sollen. Das war schon nicht mehr möglich. Es ist eine Illusion, zu glauben, der Geschichte, seiner Zeit entkommen zu können.

Ich möchte noch von einer sehr ungewöhnlichen Begebenheit in Calanda erzählen - ich weiß nicht, ob sich das so auch in anderen Dörfern ereignet hat -, nämlich von der Öffentlichen Ausrufung der freien Liebe. Eines schönen Tages tritt auf Befehl der Anarchisten der Ausrufer auf den Dorfplatz, setzt seine kleine Trompete an die Lippen, bläst und verkündet dann:

„Companeros, ab heute wird in Calanda die freie Liebe verordnet."

Man kann sich leicht vorstellen, daß diese Proklamation mit höchstem Erstaunen aufgenommen wurde, aber ich glaube kaum, daß sie nennenswerte Konsequenzen gehabt hat. Man fiel auf offener Straße über ein paar Frauen her, verlangte von ihnen freie Liebe — niemand wußte genau, was das war — und ließ sie, als sie sich sträubten, wieder laufen. Aber es brachte Unruhe in die Geister. Der Übergang von der unnachgiebigen Strenge des Katholizismus zur freien Liebe der Anarchisten war keine Kleinigkeit. Um wieder Ordnung in die Gemüter zu bringen, erklärte sich mein Freund Mantecön, der Gouverneur von Arago-nien, bereit, von unserem Balkon herunter eine Rede zu halten. Er erklärte offen, für ihn sei freie Liebe eine Absurdität, und es gebe wichtigere Dinge zu tun: zum Beispiel zu kämpfen.

Als sich die Franco-Truppen dann ihrerseits Calanda näherten, flohen selbstverständlich alle Anhänger der Republik. Wer blieb und die Faschisten aufnahm, hatte keinen Grund zu Befürchtungen. Dennoch wurden, wie mir ein Lazaristenmönch erzählte, der mich später in New York besuchte, noch einige hundert - aus insgesamt fünftausend Bewohnern, von denen allerdings viele geflohen waren —, die aus faschistischer Sicht eigentlich alle „unschuldig" waren, an die Wand gestellt. So unerbittlich war das Bedürfnis, die republikanische Pest ein für allemal mit der Wurzel auszurotten.

Meine Schwester Conchita wurde in Saragossa festgenommen. Republikanische Flugzeuge hatten die Stadt bombardiert - eine Bombe hatte sogar das Dach der Kathedrale durchschlagen, ohne zu explodieren, worauf die Leute von einem Wunder sprachen -, und der Mann meiner Schwester, der Offizier war, wurde angeklagt, etwas mit der Sache zu tun gehabt zu haben. Zufällig war er zu der Zeit gerade von den Republikanern eingesperrt gewesen. Meine Schwester wurde freigelassen, aber sie war nur haarscharf der Hinrichtung entkommen.

Der Lazaristenmönch, der mir, zusammengerollt, das Porträt brachte, das Dali in der Studentenresidenz von mir gemalt hatte — ein Picasso, ein Tanguy und ein Mirö waren definitiv verloren, aber das war mir egal -, erzählte mir, wie es während des Krieges in Calanda zugegangen war, und fügte ganz naiv hinzu:

„Fahren Sie da bloß nicht hin!"

Daß ich dazu keine Neigung verspürte, versteht sich von selbst. Lange Jahre sollten vergehen, ehe ich nach Spanien zurückkehren konnte.

1936 hat das spanische Volk zum erstenmal in seiner Geschichte das Wort ergriffen. Instinktiv hat es zuerst die Kirche und die Großgrundbesitzer angegriffen, die Vertreter der gegnerischen Ordnung seit eh und je. Mit den niedergebrannten Kirchen und Klöstern, mit den niedergemetzelten Priestern verwies es auf seinen Erbfeind.

Auf der anderen, der faschistischen Seite wurden die Verbrechen von den vermögenderen, den kultivierteren Spaniern begangen. Sie wurden - das Beispiel Calandas steht für ganz Spanien — größtenteils ohne wirkliche Notwendigkeit eiskalt begangen.   -  Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am Main 1985

Bürgerkrieg (7) Auf einem Pferdewagen brachte man Tote.

Eine alte Frau in rosafarbenem Tuch weinte. Ein festgenommener Pope wurde vorbeigeführt. Er erzählte etwas Lustiges, und die Begleitposten lachten.

Ein glattrasierter Amerikaner sprang auf einen Haufen Eisenbahnschwellen und knipste mehrmals hintereinander mit seinem Fotoapparat.

In General Spasskis Stab war man ahnungslos.

Tippfräuleins mit hochgebauschtem Haar klapperten auf ihren Maschinen.

Offiziere mit gelben Biesen flitzten über Treppen und Korridore, die widerhallten wie Geigenkörper. In seinem Käfig im Vorzimmer sang ein Kanarienvogel, und auf dem hölzernen Sofa schlief die Ordonnanz.

Die Lastautos kamen alle zugleich um die Ecke gerast. Die Menschen auf der Straße schrien auf und stürzten in die Toreinfahrten. Bimmelnde Straßenbahnen, hupende Autos, und auf den nach oben führenden Treppen Partisanen.

Auf dem Fußboden wieder Schriftstücke, zerstörte Schreibmaschinen, vielleicht auch Tote.

Die Treppe herunter führten sie den General, einen graumelierten Herrn mit rosigen Öhrchen. Erschlugen ihn auf der letzten Treppenstufe und schleppten ihn zum Sofa, auf dem die Ordonnanz ihr Nickerchen machte.

Ein Partisan rannte die Treppe hinab und hielt sich mit der Hand den Leib. Sein Gesicht war grau, und noch ehe er die halbe Treppe hinter sich hatte, stieß er plötzlich einen gellenden Schrei aus und sackte zusammen.

Eine Frau kreischte.

Der Kanarienvogel im Käfig schmetterte noch immer sein Lied.

Eine Schar Offiziere wurde in den Keller gebracht. Kein einziger von ihnen bemerkte den Leichnam des Generals an der Treppe. - Wsewolod Iwanow, Panzerzug 14-69. In: W. I., Die Rückkehr des Buddha. Nördlingen 1989 (Die Andere Bibliothek 49 , zuerst ca. 1922)

Bürger Krieg

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