ücherklau  Unten auf einem Brett lagen die Neuerscheinungen aus. Das Buch, das er suchte, war nicht darunter, kein roter Lackumschlag mit einer schwarzen Figur darauf, der Figur einer Frau, wie er sich zu erinnern glaubte. Auch oben auf der Rampe lag es nicht. Das Buch war gar nicht bestellt worden; nein, wissen Sie, das lohnte sich nicht, nicht hier, wer liest das schon, leider, leider, obwohl der Autor gut ist, ja, sehr gut, das schon, aber schwierig, man versteht ihn oft gar nicht, die Studenten interessieren sich rein gar nicht, ja, das stimmt. Sie waren diesmal völlig umsonst hingegangen. Er mußte sich nun ein anderes Buch einstecken, irgendeins, welches, irgendeins. Zum Lesen nebenbei. Von der Rampe da vor ihm, während die Verkäuferin unten an der Kasse wartete. Von den Detektiven konnte er nichts entdecken. Sie mußten sich, wenn überhaupt, in den hinteren Räumen aufhalten, wo die wissenschaftlichen Abteilungen waren. Außerdem stand er günstig neben einem Pfeiler, und der Rampenaufbau verdeckte ihn bis zur Brust. Er brauchte sich nur zu bücken, dann konnte man ihn nicht mehr sehen, und er bückte sich, wie um sein Schuhband festzuziehen, knöpfte sich das Hemd auf. Das Buch, das er aus dem Regal zog, Hurrikan im Karibischen Meer, blauer Umschlag, gut, er konnte sich die Geschichte gut vorstellen, ließ er unters Hemd gleiten. Die Vorderseite der aufgeknöpften Lederjacke und das Schalende fielen wieder lose übers Hemd. Das Buch steckte sicher an der Seite über dem Hosengürtel. Hast du was gefunden? Rainer stand am Durchgang zu den hinteren Räumen. Wo sind denn hier die englischen Sachen? Oben, im ersten Stock, sagte die Verkäuferin. Und was machen die Detektive, gerade am Kaffeetrinken? So ein Scheißladen, die haben auch tatsächlich nichts, sagte Rainer, als er wieder herunterkam. Die Detektive, schon was gefangen? Die Frau sah ihn an. Vorgestern, fing sie an. Wen? Nein, nicht gekriegt, nicht direkt. Der Kerl war so schlau und ist hinten aus der Tür durchs Treppenhaus raus, als er merkte, da stimmt was nicht. Hahahahahahaha, hast du das gehört. Witzig. Was, fragte Rainer. Durch den Hausflur, das ist gut. Wer? Ach so - So witzig ist das nun gar nicht, sagte die Frau, wenn Sie wüßten, wieviel hier so wegkommt, Sie halten das nicht für möglich. Fast jeden Tag finden wir Lücken, und nicht nur kleine. Erst heute morgen noch. Sehen Sie diese leeren Kartons? Dostojewski stand auf dem Karton, den die Frau ihm hinhielt. Dostojewski. Rainer sagte, versteh ich gar nicht. Wie kriegen die das mit. Das möcht ich auch mal wissen, wenn das so jeden Tag, na, da geht ganz schön was weg. Was wollen Sie machen. Ohne Polizei geht das gar nicht mehr. Das ist hier so eingerissen. Vor allem in der letzten Zeit, da wird die Schwundmenge immer größer. Eine kleine korrekte Empörung machte die Stimme unangenehm. Die Frau, Buchhändlerin, im Buchhandel groß geworden, sauber, korrekt. Da laufen also nun Detektive herum, lenkte er ab. Eine schöne Stelle bei Ed McBain, wo ein Irrer ein Massaker in so 'ner Buchhandlung veranstaltet. Mit Toten. Einer toten Buchhändlerin. Peng, peng, überall das Blut ringsum verspritzt über die Regale, die Bücherlücken. Buchhändlerinnen-Blut.  - (brink)

Bücherklau (2) Mikeschka war ein großer Künstler im Spiel mit Murmeln und Sachverständiger im Plündern von Gemüsegärten. Er zerrte verachtungsvoll am langen Ärmel meines Schafpelzes. »Wozu hast du denn das an?« fragte er hochnäsig, wie der Schmied zu reden pflegte. »Zieh den Gürtel fest zusammen, und wenn du die Bücher vom Brett nimmst, laß sie in den Ärmel fallen. Komm mit, wir schieben die Sache gemeinsam.« So stahlen wir beim Büchertrödler den gesamten Gorkij. Wir ließen ein Buch in den weiten Ärmel gleiten, hoben die Hand zum Genick, als wollten wir uns kratzen, und das Buch rutschte weiter, bis es vom Gürtel aufgehalten wurde. Wir rannten zu Mikeschka nach Hause, krochen auf den Ofen, baten uns bei Mutter Fekla die Lampe aus, hängten unsere Pelze vor und begannen zu schmökern. Der Ofen war glühend heiß, zum Ersticken, nackt saßen wir da, Mutter Fekla wachte wiederholt aus dem Schlafe auf und brummte: »Wollt ihr endlich auslöschen! Das ganze Petroleum verbrennt ihr!« — »Gleich, gleich löschen wir aus«, antworteten wir. Wir lasen die ganze Nacht. Die Geschichten gefielen uns nicht, vieles war unverständlich, es war geradezu ärgerlich, daß ein Mensch mit so unverständlichem Zeug Reichtümer verdienen und mit Schimmeln vierspännig fahren konnte wie der leibhaftige Zar.   - Wsewolod Iwanow, Anhang zu: W. I., Die Rückkehr des Buddha. Nördlingen 1989 (Die Andere bibliothek 49, zuerst ca. 1930)

Bücherklau (3) Breton besaß ein Exemplar der Justine de Sades, Rene Crevel ebenfalls. Als wir hörten, daß Crevel Selbstmord begangen hatte, war Dalí als erster in seiner Wohnung. Nach ihm kam Breton, vor den anderen Mitgliedern der Gruppe. Eine Freundin Crevels traf ein paar Stunden später mit dem Flugzeug aus London ein. Ihr fiel in dem Durcheinander nach dem Tod als erster auf, daß Justine verschwunden war. Jemand hatte das Buch gestohlen. Dalí? Unmöglich. Breton? Absurd, er hatte das Buch selbst. Und doch mußte jemand, der Crevel nahestand und sich in seiner Bibliothek genau auskannte, das Exemplar entwendet haben. Bis heute ist der Schuldige straffrei ausgegangen.  -  Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am Main 1985
 
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