Buchgeruch, russischer  Er hatte das Buch aufgeschlagen, sein Gesicht zwischen die Seiten gepreßt und den faden Duft tief in die Lungen gesogen. Unerklärlich, wonach diese Bücher rochen... anfangs spürte er nur den stechenden giftigen Geruch des grünlichen Leineneinbandes, das bittere Aroma von harzigem Leim, der die Blätter zusammenhielt, schließlich blieb der AItersgeruch des steifen, gelb verfärbten Papiers zurück, das widerständig und hart war wie Hornhaut, und doch kaum merklich geglättet von einem fettigen oder schweißigen Schimmer. Und darin war der tintenähnliche Hauch der schon ergrauten Druckerschwärze, er schien von der Sohle der eckigen Typen aufzusteigen, deren Mäander fühlbar in das Papier geprägt waren. Und es war, als ob aus dem Schlick am Grund der russischen Wortfelder ein feines Dunstgemisch aus Weihrauch und Naphthalin wehte... ja, es schwankte über den Wellen dieser Seiten das Leuchten von schwelenden Kohlenwasserstoffen, atemversetzend, ein Stich von Ammoniak, und ein Beigeschmack von Desinfektionslösungen oder von Alkoholen, die sich verflüchtigten. Es war der Qualm von Essenzen, wie sie in einer uralten rußgeschwärzten Kirche verbrannt werden, es waren die scharfen Spezereien, mit denen Tote einbalsamiert werden, und es war der ranzige Geruch von Weizenkörnern, die in Pyramidenkammern überdauert haben. Es waren verrufene und subversive Gerüche, direkt aus dem Tabernakel des russischen Geistes, umringt von blakenden Ölflammen, umschnarrt von dem Singsang, der Tote zum Leben erwecken und die Lebendigen begraben soll, die sich unsterblich wähnen. Es bestand kein Zweifel, daß die Bücher diesen Geruch angenommen hatten, weil sie in ihrem Heimatland verboten und verfemt waren.  - (hilb)
 
 

Buchgeruch

 

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