Brot, französisches   Eine Alte mit einem Rattengesicht hatte sich vor die Glaskabine gestellt, betrachtete verstohlen Oliveira, der auf der Bank saß und das Gesicht ganz nah an dasn Telefon hielt. Oliveira spürte, wie die Alte ihn betrachtete, wie sie unweigerlich anfing, die Minuten zu zählen. Die Scheiben der Kabine waren, seltener Fall, sauber: die Menschen kamen und gingen in dem Postamt, man hörte den dumpfen (und aus unerfindlichen Gründen friedhofsdü-steren) Schlag des Stempels, der die Briefmarken entwertete. Etienne am anderen Ende sagte etwas, und Oliveira drückte auf den vernickelten Knopf, der die Verbindung herstellte und endgültig die Zwanzigfrancsmarke schluckte.

-  Du könntest dir abgewöhnen, einen zu belästigen, schimpfte Etienne, der ihn sogleich erkannt haben mußte. Du weißt doch, daß ich um diese Zeit wie ein Besessener arbeite.

-  Ich auch, sagte Oliveira. Ich rufe dich an, weil Ich mitten in der Arbeit einen Traum hatte.

-  Was heißt mitten in der Arbeit?

-  Ja doch, so um drei Uhr morgens. Ich habe geträumt, ich ginge in die Küche, suchte Brot und schnitte mir eine Scheibe ab. Es war ein Brot, das ganz anders war als das, was es hier gibt, ein pttn frances, wie man es in Buenos Aires kriegt, verstehst du, das nichts Französisches hat, aber französisches Brot heißt. Du mußt es dir so vorstellen, daß es mehr ein grobes Brot ist, von heller Farbe, mit sehr viel Krume. Ein Brot, um es  mit Butter und Marmelade zu bestreichen, verstehst du.

-  Weiß ich, sagte Etienne. In Italien hab ich's gegessen.

-  Du bist verrückt. Das hat nichts damit zu tun. Eines Tages werde ich dir eine Zeichnung machen, damit du begreifst. Paß auf, es hat die Form eines breiten und kurzen Fisches, kaum fünfzehn Zentimeter, aber schön dick in der Mitte. Das ist das französische Brot von Buenos Aires.

-  Das   französische  Brot von Buenos  Aires,  wiederholte Etienne.

-  Ja, aber ich schnitt das Brot in der Küche in der Rue de la Tombe Issoire, bevor ich mit der Maga umzog. Ich hatte Hunger  und  griff nach dem Brot, um mir eine Scheibe abzuschneiden.   Da  hörte  ich,  daß  das  Brot  weinte.  Ja, natürlich war es ein Traum, aber das Brot weinte, sobald ich mit dem Messer hineinschnitt. Irgendein französisches Brot, und es weinte. Ich wachte auf, ohne zu erfahren, was weiter geschehen würde, ich glaube, als ich aufwachte, hatte ich noch immer das Messer im Brot stecken.

-  Tiens, sagte Etienne.

-  Jetzt wirst du begreifen, man erwacht aus so einem Traum, geht auf den Flur und hält den Kopf unters Wasser, legt sich wieder hin, raucht die ganze Nacht . . . Also ich weiß nicht, ich glaube, es war besser, daß ich mit dir gesprochen habe, außerdem könnten wir uns ja verabreden, um den Alten zu besuchen, du weißt schon, der den Unfall gehabt hat.

-  Das war schon in Ordnung, sagte Etienne. Es kommt mir vor wie ein Kindertraum. Kinder können noch solches Zeug träumen oder sich vorstellen. Mein Neffe hat mir einmal gesagt, er sei auf dem Mond gewesen. Ich fragte ihn, was er dort gesehen hätte. Seine Antwort war: »Ein Brot und ein Herz.« Du wirst mir glauben, daß man nach diesen Bäcker-Erfahrungen keinem Jungen mehr in die Augen sehen kann, ohne Angst zu bekommen.  - (ray)

Brot Franzose

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