rokatmantel Er hatte einen roten glänzenden Fleck unter den Sträuchern entdeckt. Schnell ging er darauf zu, während seine Stiefel im Morast klatschten und glucksten. Nun schob er die Zweige auseinander. Vor ihm lag ein toter Körper, von Kopf bis Fuß eingehüllt in einen kostbaren langen Mlantel aus rotem Brokat mit goldenen Blumenmustern.
Er bückte sich und sah einen Augenblick prüfend in das leblose Gesicht mit den anmutigen, regelmäßigen Zügen und dem seltsam friedlichen Ausdruck. Ihr ungewöhnlich langes Haar, von einer seidigen Feinheit, war ungeschickt aufgebunden mit einem groben Leinenband zu einem Knoten. Er schätzte das Alter der toten Frau auf ungefähr fünfundzwanzig Jahre. Die Ohrläppchen waren ausgerissen, hatten aber nur wenige Blutstropfen hinterlassen. Er öffnete den Mantel, schloß ihn aber gleich wieder.
»Geht auf den Pfad und paßt dort auf!« befahl er dem Studenten gebieterisch. »Pfeift, wenn sich jemand nähert!«
Als sich der junge Mann davongeschlichen hatte, schlug der Richter den Mantel
zurück. Die Frau war völlig nackt. Ein Dolch stak bis zum Heft unter ihrer linken
Brust und war an der Einstichstelle von einer Blutkruste umgeben. Er untersuchte
eingehend den Griff aus wundervoll getriebenem, aber vom Alter nachgedunkelten
Silber und stellte fest, daß es sich um einen wertvollen, antiken Dolch handelte.
Der Bettler hatte seinen Wert nicht erkannt und ihn daher nicht mitgenommen,
als er die Ohrringe und Armbänder stahl. Er befühlte die Brust;
sie war feuchtkalt. Dann hob er einen ihrer Arme in die Höhe und fand ihn noch
biegsam. Die Frau konnte erst vor wenigen Stunden ermordet worden sein, dachte
er bei sich. Das friedliche Gesicht, die Fülle des flüchtig zusammengebundenen
Haares, der nackte Körper und die bloßen Füße deuteten darauf hin, daß sie zu
Hause während des Schlafs getötet wurde. Nach
der Tat hatte der Mörder die Leiche eiligst in den Mantel gewickelt und an diesen
Ort geschleppt. Das ergab ein stimmiges Bild. - Robert van Gulik, Der
Wandschirm aus rotem Lack. Zürich
1990