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Friedrich Schröder Sonnenstern
Brautschleier (2) Ein hungriges weibliches Exemplar
der «Schwarzen Witwe» ist eine leistungsfähige Freßmaschine, und werbende Männchen
müssen größte Umsicht walten lassen, wenn sie sich ihr nähern. Schon beim Betreten
des Netzes tippt das Männchen einige Seidenfäden an und zerrt daran. Greift
daraufhin das Weibchen an, so zieht sich das Männchen entweder hastig zurück
oder es seilt sich flink an seinem eigenen Seidenfaden ab. Wenn das Weibchen
nicht reagiert, nähert sich das Männchen langsam und vorsichtig. Dabei zerstört
es das Netz an einigen strategisch wichtigen Punkten, um die Flucht- und Angriffswege
des Weibchens zu reduzieren. Das Männchen wirft mehrere Seidenfäden über das
Weibchen, die man zweifellos als «Brautschleier» bezeichnen kann. Diese Fäden
sind nicht fest, und das größere Weibchen könnte sie ohne weiteres zerreißen.
Aber das Weibchen tut das im allgemeinen nicht, und (wie man im technischen
Sprachgebrauch so sagt) «es erfolgt» dann die Kopulation. Das Männchen, das
mit paarigen Organen für die Übertragung der Spermien gesegnet ist, führt zunächst
den einen Palpus (Gonopodus) ein und, falls es nicht schon vom Weibchen angegriffen
wird, auch noch den zweiten. Hungrige Weibchen können daraufhin ihren Paarungspartner
verschlingen und damit den Doppelsinn jener Rede erfüllen, die davon schwärmt,
«sich in Liebe zu verzehren». - Stephen Jay Gould, Das Lächeln des Flamingos. Basel, Boston, Berlin 1989
Brautschleier (3) Dort saß sie, aufrecht und reglos, in reines Weiß gekleidet, das Gesicht von einem Schleier bedeckt, doch ihre Verhüllung war so arrangiert, daß sie die wunderbare Eleganz ihrei Gestalt eher unterstrich als verbarg. Unter dem Schleier, der von der Art war, wie ihn Bräute tragen, quollen zwei glänzende, blauschwarze Zöpfe hervor, an deren Enden je eine große Perle hing. Zu beiden Seiten von ihr standen hochgewachsene Frauen von der Art jener, die uns hereingeführ! hatte, und vor ihr, ein wenig rechts, kniete Billali.
Es war etwas einmalig Majestätisches um diese Frau, wie es geschmeichelte Gemälde von Königinnen es ausstrahlen, doch besaß sie eine vornehmere Gestalt als alle Königinnen, deren Konterfeis ich jemals gesehen hatte. Ein Mysterium schien von ihr auszugehen, sie zu umhüllen wie der Schleier, den sie trug, der natürlich diese Wirkung noch ver-
stärkte. Schönheit strahlte von ihr aus; und obwohl ihr Körper verhüllt war,
wußte ich, daß er da war; kein Schleier und keine Robe konnten ihn verbergen,
jedenfalls nicht meiner Vorstellungskraft. Und sie strahlte auch Macht aus;
man konnte sie in der Luft spüren, so wie man ein Gewitter spürt, bevor es losbricht,
und es schien mir, als ob diese Macht nicht ganz menschlich wäre, daß sie ihre
Kraft aus weiter Ferne bezöge und auf dieser Erde eine Fremde sei. -
Henry Rider Haggard, Sie und Allan. München 1985 (zuerst ca. 1910)
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