Brauch, alter  Der Brauch, mit Toten Unzucht zu treiben, ist schon immer als etwas höchst Heiliges und Moralisches betrachtet worden. Ohne den Brauch bestimmter Völker in Erinnerung zu rufen, die den lebenden Gatten mit dem Verstorbenen begraben, wollen wir auf einen Überrest in unserer Gewohnheit hinweisen, demgemäß eine verwitwete Person erst nach Ablauf einer bestimmten Frist wieder heiraten darf. Nun wäre diese Frist von keinerlei Bedeutung, wenn in ihr der Geschlechtsverkehr nicht auf den von jenseits des Grabes beschränkt bliebe. Wahrscheinlich wurde sie ursprünglich nach der Zeit bemessen, die der Leichnam zur Verwesung benötigt. Die Päpste waren immer eifrige Befürworter dieser posthumen Vereinigung, sogar ohne irgendwelche zeitliche Begrenzung, was sehr deutlich ihre permanent feindliche Haltung zur Scheidung bekundet, durch die der Ehegatte die Ehepflicht sowohl hier auf Erden wie auch im Jenseits leicht umgehen könnte.

Die moderne Wissenschaft hat bewiesen, daß diese Strenge übertrieben ist und daß es, was die Fortpflanzung betrifft, nichts bringt, wenn der Geschlechtsverkehr mit Leichen über die Frist von drei Tagen hinaus fortgeführt wird. Danach hat die männliche Leiche ihre Befruchtungskraft eingebüßt. In der Praxis schränkt die Gerichtsmedizin diese Frist noch weiter ein, so daß die verstorbene Person noch innerhalb von achtundvierzig Stunden »aus den Armen der Ihrigen gerissen« wird.  - Alfred Jarry, Die grüne Kerze. Spekulationen. Frankfurt am Main 1993

Brauch, alter (2)  Er war  so töricht und gab ihr wie verlangt ein Pferde- und ein Hundehaar. Und was denkst du wohl, was die alte Frau damit machte? Sie verzauberte den jungen Burschen mitsamt dem Pferd und dem Hund. Nun konnte der Hund ihr nichts mehr antun. Und sie steckte alle drei in den Keller. Doch sein Pflegbruder, der mit ihm erzogen war, sah plötzlich zur selbigen Stunde, daß von der Wand Blut herabfloß. Da lief er zu seiner Mutter und sagte: »Mutter, ich gehe meinen Bruder suchen, auch wenn ich dabei sterben sollte. Es ist ihm ein Unglück zugestoßen.« Da machte er sich auf die Suche nach seinem Bruder, der in Wirklichkeit gar nicht sein Bruder war, kam auch wieder in jenen Wald, wo das Haus stand, und ging hinein und fand die heilige Sonntag, die ihn belehrte: »Junger Held, nimm dich in acht. Am Feuer dort sitzt eine alte Frau, eine Zauberin. Nimm dich in acht, daß sie dich nicht verzaubert wie deinen Bruder!« — »Sage mir, liebe Fee, was soll ich tun?« — »Wenn du ans Feuer kommst, so sei nicht so töricht und gib ein Haar von deinem Pferd und deinem Hund weg, denn sonst verzaubert dich die alte Frau, wie sie deinen Bruder verzaubert hat.«

Darauf gelangte der junge Held ans Feuer. Er setzte sich, und siehe, die alte Frau kam wirklich zitternd auf ihn zu. Der Knabe fragte sie: »Was hast du denn, Mütterchen?« — »Ach, mich friert.« — »Hier ist doch Feuer, kannst du dich denn nicht wärmen?« — »Ach nein, dann kommt der Hund. Ich kann nicht, ich fürchte mich vor dem Hunde.« — »Hab keine Furcht, ich halte den Hund schon.« — »Gib mir erst ein Haar vom Hund und vom Pferd.« — »Ach, was du willst, das bin ich weder gewohnt, noch gewillt zu geben. Komm her, wenn du willst, oder scher dich zum Teufel, wenn du nicht willst.« Da ließ sie sich betören, und der junge Held rief dem Hunde zu: »Faß sie, denn sie hat mir meinen Bruder umgebracht.« Da faßte sie der Hund, und als sie vor Angst nicht aus noch ein wußte, fragte sie der Knabe: »Wo ist mein Bruder?« — »Er ist zu Hause bei mir.« — »Geh und hole ihn her, daß ich ihn befreie.« Da ging sie mit ihm und holte den Bruder, das Pferd und den Hund hervor. Und schließlich gab der junge Held nach altem Brauch der bösen Frau eins mit der Keule und tötete sie.  - (zig)

 

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