Brancati, Vitaliano    Er traf jeden Morgen kurz vor dem Läuten ein und stieg, leicht hinkend, die Treppe hinab. (Merkwürdig, diese Einzelheit wird in den Erinnerungen anderer nie erwähnt, obwohl ich seinen rechten Fuß, langsam und unsicher, auf den Stufen förmlich »sehe«. Düstere Miene, gelangweilt, verschlossen; man hat den Eindruck, daß er seine tatsächliche Langeweile und seinen tatsächlichen Mißmut willentlich ins Abweisende steigerte, um sich so vor jeder Vertraulichkeit der Kollegen zu schützen, denen er nun gleich begegnen würde. Er verkehrte tatsächlich nur mit dem Direktor und außerhalb der Schule mit Pompeo Colajanni und wenigen anderen; ein durchaus erwähnenswerter Punkt ist auch, glaube ich, daß der Parteisekretär, dessen schwarzer Umhang durch die Erzählung ›Die Langeweile im Jahre i937‹ weht, ein Verwandter von ihm aus Pachino war.) Nur drei oder vier von uns Schülern wußten, daß er Schriftsteller war, und nur ich kaufte mir jede Woche, unter Verzicht auf einen Kinoabend, die Zeitschrift >Omnibus‹ von Longanesi. Sie kostete eine Lira, aber es lohnte sich: Barilli und Savinio, Vittorinis Artikel über amerikanische Schriftsteller, Erzählungen von Caldwell, Saroyan und von einem gewissen Giovanni Drogo, hinter dem ich Dino Buzzati vermutete, einzelne Artikel über Amerika von Moravia und De Chirico; und welch ein Genuß waren die Briefe Brancatis an den Direktor! »Lieber Herr Direktor!« - und schon schien ein Stück dieses Gewebes aus Langeweile, das unser Alltagsleben war, im Brennpunkt einer Linse aufzuleuchten, die es vergrößerte und verformte und einzelne Knoten oder Fäden hervorhob. So muß man schreiben, dachte ich, so möchte ich schreiben. Und jeden Morgen betrachtete ich diesen bitterironischen, finsteren, mürrischen Mann, als hüte er dieses Geheimnis, dieses Mysterium. - (scia)
 
 

Poet Geschichtenerzähler Sizilianer

 

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