otschaft   Ich richte diese Botschaft, die vielleicht nie aufgenommen werden wird, an die Finsternisse. Sie wird Jahrhunderte lang umherirren, entfiedert und unverständlich, wie ein verängstigter Vogel in einem Vogelhaus ohne Stangen. Nichtgutzumachende Dinge ereignen sich geräuschlos in allen Teilen des Kosmos. Ich habe meine hölzerne Null verlassen, aber ich bin nicht auf eine samtene Erde gelangt. Dies ist eine dunstige und düstere Gegend, wo ich dem Ticken unzähliger Uhren lausche. Es gibt Fleisch, aber ich sehe keine Leiber. Ich hocke auf den Schwellen eines unbekannten, ordinären und süßlichen Meeres, ich raffe meine nunmehr bizarren Gewänder um mich. Ich sterbe nicht, ich werde nicht sterben. - Giorgio Manganelli, An künftige Götter. Berlin 1983

Botschaft (2)  Einmal hat Vanessa erzählt, ihre Krankheit habe begonnen, als ein Teufel in ihr zu wohnen angefangen hat. Dieser Teufel heißt Roberto, und obwohl er in Vanessa wohnt, benützt er, um mit ihr zu sprechen, immer äußere Gegenstände : zum Beispiel den Bildschirm der Bankkonten-Überweisungsmaschine. Über den Bildschirm spricht Vanessa ziemlich oft auch mit Jesus. Es ist, als ob Roberto und Jesus beide in ihr drin wohnten und ständig zu ihr sprächen, aber Roberto ist stärker und gewinnt. Dank der Gespräche mit Jesus kann Vanessa genau wissen, was das Gute ist, und sicher ist ihr ganzes Leben nach seinen Anleitungen ausgerichtet; trotzdem herrscht Roberto, der schlecht ist, in ihr vor. Roberto ist ein sehr gefälliger Teufel, und wenn Vanessa ihn nach irgend etwas fragt, antwortet er sofort. Wenn eines der Mädchen Vanessa bittet, Roberto zu fragen, ob es am Sonntag regnen wird, weil es einen Ausflug mit seinem Freund plant, so antwortet Vanessa augenblicklich »es wird regnen« oder »es wird nicht regnen«, je nachdem, was ihr Roberto sagt. Alles in allem hat man den Eindruck, daß Roberto nur dann mit Vanessa spricht, wenn Vanessa ihn nach etwas fragt, während Jesus von selbst zu ihr spricht und ihr manchmal Botschaften an die anderen Mädchen des Büros anvertraut: Er schärft ihnen zum Beispiel ein, keinen unerlaubten Sexualverkehr zu haben oder in die Messe zu gehen. Diese Botschaften kommen ganz plötzlich, und dann stellt sich Vanessa, wenn sie gerade nichts Besonderes zu tun hat, in die Mitte des Büros und verkündet sie laut. - Giulio Mozzi, Vanessa, in: Italia fantastica! Berlin 1997 (WAT 280)

Botschaft (3)  Es handelte sich um die Leiche von Edoardo la Monica, aber seine Züge waren nicht mehr zu erkennen. Es gab nur noch die Lippen, alles andere war zerfetzt. Der Körper voller Löcher und blutverkrustet. Sie hatten ihn gefesselt und dann mit einem genagelten Stock langsam gequält, über Stunden. Jeder Schlag hatte ein Loch in den Körper gemacht, Schläge, die nicht nur die Knochen brachen, sondern auch das Fleisch durchbohrten, Nägel, die eindrangen und wieder herausgezogen wurden. Sie hatten ihm die Ohren abgeschnitten, die Zunge verstümmelt, die Handgelenke zerschlagen, die Augen mit einem Schraubenzieher ausgestochen, bei lebendigem Leib und vollem Bewußtsein. Um ihn vollends zu erledigen, hatten sie ihm das Gesicht mit einem Hammer zertrümmert und mit einem Messer ein Kreuz in die Lippen geschnitten. Die Leiche mußte auf den Müll geworfen werden, damit sie verwest auf einem Müllabladeplatz gefunden wurde. Die in sein Fleisch geschnittene Botschaft konnte jedermann entziffern, auch wenn es keinen anderen Beweis als die Folter gab: dir wurden die Ohren abgeschnitten, mit denen du gehört hast, wo der Boss versteckt war, die Hände zerschlagen, mit denen du das Geld genommen, die Augen ausgestochen, mit denen du gesehen, und die Zunge verstümmelt, mit der du geredet hast. Das Gesicht entstellt, das du durch deine Tat vor dem System verloren hast. - Roberto Saviano, Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra. München 2006

Botschaft (4)   Die erste Platte, die ich mir kaufte, war von Little Richard, und sie lehrte mich mit einem Schlag alles, was ich über Pop wissen mußte.

Die Botschaft lautete: «Tutti frutti all rootie, tutti frutti all rootie, awopbopaloobop alopbamboom!»  Als Zusammenfassung dessen, worum es im Rock 'n' Roll wirklich ging, waren diese Worte meisterhaft.   - (awop)

Botschaft (5)  Ihr seid entstanden, weil die Evolution ein Spieler ist, der es mit der Ordnung nicht so genau nimmt, denn nicht genug damit, daß sie durch Fehler Fehler macht, beschränkt sie sich außerdem im Wettstreit mit der Natur nicht auf irgendeine besondere Taktik, sondern setzt in jeder nur erdenklichen Weise auf alle freien Spielfelder. Aber darüber, ich sage es noch einmal, seid ihr mehr oder weniger im Bilde. Das ist jedoch nur ein Teil - und zwar der einleitende Teil -dessen, worin ich euch einweihen werde. Seinen ganzen Inhalt, soweit er bislang enthüllt ist, kann man lapidar folgendermaßen fassen: DER SINN DES BOTEN IST DIE BOTSCHAFT. Denn die Organismen dienen der Übermittlung - und nicht umgekehrt; wenn man von der Übermittlungsprozedur der Evolution absieht, bedeuten die Organismen nichts, sind sie sinnlos wie ein Buch ohne Leser. Freilich kommt auch das Gegenteil vor:

DER SINN DER BOTSCHAFT IST DER BOTE. Diese beiden Glieder sind jedoch nicht symmetrisch, denn NICHT JEDER Bote ist der EIGENTLICHE Sinn der Botschaft, sondern nur derjenige, der der WEITEREN Übermittlung der Botschaft treu dienen wird.

Ich weiß nicht, ob das - bitte verzeiht mir - nicht zu schwierig für euch ist. Nun also: DIE BOTSCHAFT darf in der Evolution Fehler machen, soviel sie will, aber wehe den BOTEN! Die BOTSCHAFT kann einen Wal bedeuten, eine Kiefer, einen Wasserfloh, eine Hydra, einen Nachtfalter oder einen Pavian - ihr ist alles erlaubt, denn ihr partikularer, das heißt gattungsmäßig konkreter Sinn ist völlig unerheblich: Hier ist jeder ein Bote für weitere Botengänge und folglich jeder gut. Er ist eine zeitweilige Stütze, und es kommt nicht darauf an, wie er beschaffen ist - Hauptsache, er gibt den Code weiter. Solche Freiheit ist den BOTEN nicht gegeben: sie dürfen KEINE FEHLER mehr machen! Der Inhalt der Boten, die auf das bloße Funktionieren, auf diese Briefträgerdienste reduziert sind, kann also nicht beliebig sein; im wesentlichen deutet er stets auf die auferlegte Pflicht hin, dem Code zu dienen. Soll der Bote nur versuchen, sich aufzulehnen, seine Dienstpflichten zu überschreiten - auf der Stelle wird er ohne Nachkommenschaft zugrunde gehen. Eben deshalb kann die Botschaft sich der Boten bedienen, aber nicht umgekehrt. Sie ist der Spieler, jene aber sind nur die Karten im Spiel mit der Natur, sie ist der Autor der Briefe, die den Adressaten zwingen, den Inhalt weiterzugeben. Er darf ihn entstellen - wenn er ihn nur weitergibt! Und das heißt eben, daß der ganze SINN im Weitergeben besteht; WER das tut, ist unerheblich.

Auf diese recht sonderbare Weise seid ihr also entstanden - als eine bestimmte Unterart von Boten, von denen der Prozeß schon Millionen ausprobiert hatte. - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main 1986 (st 1266, zuerst 1973, 1981)

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