lutverlust Er brach in ein knabenhaftes Lachen aus: «Verzeiht! Mir fiel was ein, weil Ihr sagt töten.» «Nun?» «Aber wenn Ihr ein so zartes Gemüt habt, will ich lieber nicht erzählen.» «So sprecht, Kapitän.»
«Wir waren einmal irgendwo, und ich hatte einen guten Freund, der lange krank war und nun schon irgendwo unter der Erde liegt. Wir bekamen Befehl abzumarschieren, und mein Freund hatte unter seinen Dienern einen Burschen, mit dem er wie mit allen ausgezeichnet stand. Sagt er also eines Morgens, als man marschieren will, zu dem Burschen: Jose oder Ignaz oder wie er sonst hieß, Jose, nimm meine Tartsche, es geht los. Sagt der Bursche nichts, nimmt die Tartsche, mein Freund steigt auf das Pferd, ich neben ihm, und wir reiten durch den Ort auf den Sammelplatz, der vielleicht eine Viertelstunde entfernt ist. Bleibt der Bursche am Ausgang des Orts wie ein alter Esel, rückt und rührt sich nicht. Nun, wird's bald? schreit mein Freund. Der Junge sagt nichts. Mein Freund ist gar nicht ungeduldig, wundert sich nur und sagt zu mir: Was soll man mit dem Dummkopf machen? Steigt vom Pferd, gibt mir die Zügel und holt sich den Burschen her: Du trägst jetzt die Tartsche und wirst mitkommen. — Ich bleibe hier. — Ich sage dir, du kommst mit. Darauf antwortet der nicht. Darauf zieht mein Freund sein Gürtelmesser und sagt: Hier, sieh dir mein Messer an. Du hast zwei Ohren. Wenn du nicht mitkommst, schneide ich dir ein Ohr nach dem andern ab. Der Bursche sagt nichts. Der Freund faßt nach seinem Kopf, und in aller Ruhe, ritsch, ratsch, schneidet er ihm ein Ohr nach dem andern ab.» Las Casas hielt sich die Hand vor die Augen: «Das ist nicht möglich.»
«Aber ich war dabei. Ich sag Euch ja, Ihr habt ein zu sanftes Gemüt. Der
Bursche blieb ganz still stehen, der verzog wirklich keine Miene, der wußte,
was er zu erwarten hatte, das Blut lief ihm nur so auf die Schultern, er wußte:
die Sache ist in Ordnung.» «Die Sache ist in Ordnung?» «Natürlich. Mein Freund
sagte: Siehst du, das hast du jetzt für deinen Ungehorsam. Kommst du jetzt mit?
Der schüttelt den Kopf. Überlege dir, Bursche. Ich meine es gut mit dir. Schön
siehst du jetzt nicht aus. Deine Mädchen werden dich nicht bewundern. Du kommst
jetzt. Der antwortet nicht und legt die Tartsche auf die Erde. Da faßt ihn mein
Freund an die Nase und schneidet ihm mit einem Schnitt
Nase und Oberlippe herunter. Der Bursche sagt kein Wort. Mein Freund steigt
ärgerlich aufsein Pferd, flucht: Es ist mit den Eseln hier nichts anzufangen,
sie sind einer wie der andere. Wie ich mich umdrehe, liegt der dumme Bursche
an der Erde, und die Leute aus dem Dorf kommen angerannt. Er wird viel Blut
verloren haben.» -
Alfred Döblin, Amazonas-Trilogie. Bd.1, Land ohne Tod. München 1991
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