lutegelsuppe
Auch den Aktienteich belebten Blutegel, Poggen und Kaulquappen.
Von Fischen im Aktienteich wird noch die Rede sein. Über zumeist
glattem Wasser hielten Mücken den einen hohen Ton, standen Libellen,
durchsichtig und gefährdet. Wenn Tulla dabei war, mußten wir aus dem
einmündenden Strießbach Blutegel in eine Konservendose sammeln. Es gab
ein haltloses, schief am Uferschlamm faulendes Schwanenhäuschen. Schwäne
hatte es vor Jahren, eine Saison lang, auf dem Aktienteich gegeben,
dann waren sie eingegangen; nur das Schwanenhäuschen blieb. Immerzu und
unter allen Regierungen, machten spaltenlange Artikel und empörte
Leserbriefe Wind um den Aktienteich: er sollte, der Mücken wegen, und
weil die Schwäne eingegangen waren, zugeschüttet werden. Aber dann
spendete die Aktien-Brauerei irgend etwas für ein städtisches
Altersheim, und der Teich wurde nicht zugeschüttet. Während des Krieges
bestand für den Teich keine Gefahr. Er bekam einen Untertitel, hieß
nicht nur Aktienteich, sondern auch Löschteich am Kleinhammerpark. Der
Luftschutz hatte ihn entdeckt und in seinen Einsatzkarten eingeplant.
Aber das Schwanenhäuschen gehörte weder der Brauerei noch dem
Luftschutz; das Schwanenhäuschen, etwas größer als die Hundehütte
unseres Harras, gehörte Tulla. In ihm hauste sie Nachmittage lang, und
ins Häuschen hinein reichten wir ihr die Konservendose mit den
Blutegeln.
Sie machte sich frei und setzte sie an: am Bauch und an den Beinen. Die Egel gingen auf, wurden blauschwarz wie Blutergüsse, zitterten leicht und immer weniger, und Tulla, mit mehligem Gesicht, warf sie, sobald sie voll waren und sich leicht abnehmen ließen, in eine zweite Konservendose.
Wir mußten uns auch Blutegel ansetzen: ich drei, Jenny einen, am Oberarm und nicht an den Beinen, weil sie ja tanzen mußte. Mit kleingehackten Brennesseln und Wasser aus dem Aktienteich kochte Tulla ihre und unsere Egel über kleinem Holzfeuer, bis sie gar waren, platzten und die Suppe, trotz mitgekochter Brennesseln, braunschwarz färbten. Wir mußten den schlammigen Sud trinken; denn Tulla war das egelkochen heilig. Sie sagte, wenn wir nicht trinken wollten: «Der Itzich und sein Freund waren ja auch Blutsbrüder, hat mir der Itzich mal gesagt.» Da tranken wir bis zum Bodensatz und fühlten uns alle verwandt.
Aber einmal hätte Tulla uns beinahe den Spaß verdorben. Nachdem sie abgekocht hatte, erschreckte sie Jenny: «Wenn wir jetzt trinken, kriegen wir beide jeder ein Kind, und zwar von ihm.» Aber ich wollte nicht Vater werden. Und Jenny meinte, es sei noch zu früh für sie, zuallererst wolle sie tanzen, in Berlin und überall.
Und einmal, als es zwischen mir und Tulla wegen der
Kinderkriege-rei schon ziemliche Spannungen gab, zwang Tulla im
Schwanenhäus-chen Jenny, sich neun Blutegel anzusetzen: «Wenn Du das
nicht machst sofort, dann verblutet mein ältester Bruder sofort, der in
Frankreich im Krieg ist.» Jenny setzte sich die Blutegel alle neun
überall an, wurde weiß und dann ohnmächtig. Tulla verduftete und ich riß
Jenny mit zwei Händen die Blutegel ab. Sie hafteten, weil sie noch
nicht voll waren. Einige platzten, und später mußte ich Jenny abwaschen.
Unterm Wasser kam sie wieder zu sich, blieb aber immer noch ohne Farbe.
Sogleich wollte sie wissen, ob Siegesmund Pokriefke, Tullas Bruder in
Frankreich, jetzt gerettet sei.
Ich sagte: «Vorläufig bestimmt.» - (hundej)
|
||
|
|
|