Blick, schlauer  Sie blieb mit ihrer Jugendfreundin, der dunkeläugigen Maura, mittels langer, intimer Briefe, in ständiger Verbindung.

Zuerst waren diese Briefe klatschsüchtiges Geschreibsel gewesen, das jedoch stets in fortgesetzten Beteuerungen jener Liebe endete, welche die Frauen während ihrer Kindheit gehegt hatten. Maura zeigte sie ihrem Mann, und beide genossen ihren Gehalt an Klatsch, da sie ja von Menschen und Szenen handelten, mit denen beide vertraut waren.

Doch nach einigen Jahren, während diese Briefe immer weiter strömten, kam eine Veränderung. Zuerst wurde der persönliche Ton vertraulicher. Ethel sprach von ihren Kindern, wie sie eins nach dem andern gehabt hätte - um sich zu zerstreuen, um die Gedanken von ihrem ständigen Brüten abzulenken. Jedes Kind hätte ihre Hoffnungen auf Erleichterung erneuert, jede erwartete Entbindung ihr nur neue Enttäuschung gebracht. Sie vertraute sich mehr und mehr Maura an. Sie liebe ihren Mann; das sei es nicht. Wirklich, sie wisse selbst nicht, was es sei, außer daß sie, Ethel, sich niemals ihre alte Freundin Maura aus dem Sinn schlagen könne.

Bis schließlich das Geheimnis heraus war. Du bist es, Maura, die ich will. Nichts als dich. Niemand als du kann meinen Kummer stillen. Vergib mir, wenn ich dich mit diesem Geständnis peinige. Es wäre das letzte, was ich möchte. Aber ich kann mich nicht länger mäßigen.

Dichter und schneller kamen die Briefe. Breite Sendschreiben der Liebe, waren sie jetzt ohne die geringste Zurückhaltung.

Ethel schrieb jetzt Briefe, wie Maura sie sich zu anderer Zeit ihres Lebens von einem Mann zu erhalten gewünscht hätte. Sie erfuhr, daß all diese Jahre von ihr geträumt worden war, leidenschaftlich, ohne Rivalin, ohne Erfüllung. Nun, gewiß, Maura wagte nicht, die Briefe ihrem Mann zu zeigen. Er würde nicht verstehen.

Sie rührten sie eigenartig, sie erschreckten sie, aber sie machten, daß ein schlauer Blick in ihre dunklen Augen kam, und sie packte sie sorgfältig fort, wo sie nie jemand in die Hände fallen würden. Sie selbst war anderweits beschäftigt, doch sie hegte zärtliche Gefühle für Ethel, liebte sie auf die alte erinnerte Art - doch das war alles. Die Wendung, die Ethels Gemüt genommen hatte, verwirrte sie, und sie dankte der Vorsehung, daß ihre Freundin und sie weit genug entfernt voneinander lebten, um peinliche Begegnungen zu vermeiden.  - William Carlos Williams, Die Messer der Zeit, nach (messer)

 

Blick

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme