lick, mütterlicher  Sie bezweifelte von Anfang an, daß ich es schaffen würde. Ihr Blick auf mir erstarrte manchmal in einem Mitleid, das ohne einen Schimmer Erbarmen war. Immer wieder war ich ja bisher von jemandem beschrieben worden, einem Priester, einem Lehrer, einem Mädchen, einem Schulfreund: doch von jenen stummen Blicken der Mutter fühlte ich mich in einer Weise beschrieben, daß ich mich davon nicht bloß erkannt, sondern verurteilt sah. Und ich bin sicher, daß sie mich nicht erst mit der Zeit, durch die äußeren Umstände, so anschaute, sondern schon seit dem Moment meiner Geburt. Sie hat mich emporgehoben, mich ins Licht gehalten, beiseite gelacht und mich verurteilt. Und ebenso hat sie später, um sich zu vergewissern, das im Gras strampelnde und vor Daseinslust kreischende Kleinkind aufgenommen, es in die Sonne gehalten, es angelacht und wieder verurteilt. Ich versuchte zu denken, daß es mit Bruder und Schwester zuvor ähnlich gewesen war, und konnte es nicht. Nur ich brachte sie zu dem, solch erbarmungslosem Blick in der Regel dann folgenden, Ausruf: »Ach wir zwei!«, den sie bei Gelegenheit auch an ein für die Schlachtbank, gestimmtes Stalltier richtete.   - Peter Handke, Die Wiederholung. Frankfurt am Main 1992 (zuerst 1986)

 Blick, mütterlicher (2)    Wie wenn man sich mit Schnee abreibt und einem nach der Kälte warm wird, wallte jäh eine Hitzewelle in ihm empor; von innen her gegen seine Haarwurzeln, gegen die Ohrenränder, die Fingerspitzen. Das Herz, das fast stillgestanden war, fing in der Brust wild zu pochen an, als müsse es sein enges Gefängnis zersprengen, und verdoppelte seine Schläge mit verzweifelter Gewalt. Vor seinen Augen gaukelte ein Gewirr von körperhaften Blitzen, sie wurden ruhiger, langsamer, und kamen schließlich als plastische Formen zum Stillstand. Es schien ihm, als verschmelze er mit üppigen Frauenkörpern von fahler Hautfarbe wie Wachs mit Wachs - und des Seltsamen mehr. Feuchte, blutige Blätter von herbstlichem Gold blieben an seinem nackten Körper haften und wurden langsam zu seinem eigenen Fleisch, sie verwandelten seine Haut gleichsam in Eidechsenhaut; Regen prasselte auf ihn nieder und weichte ihn auf bis ins Mark, ließ dann sein Fleisch plötzlich hart wie Perlmutter werden und lief an ihm hinunter, ohne es weiter zu durchnässen. Alles war von einem ungestümen Wind geschüttelt, andere Frauen zogen vorüber. Er trank den Regen, den Atem der Frauen, ihr Blut mit seinen Händen, seinem Bauch; aus ihren Eingeweiden zog er Gebilde wie Nachgeburten hervor, blutigen Unrat; überall breitete sich rote Farbe aus und ein Geruch von Schwefel. Und dann auf einmal ungeheure, tolle Freude, wie wenn aus einer bronzenen Brust ein Brüllen hervorbricht ... Die Mutter löste ihren Blick von ihm und heftete ihn wieder auf den untergehenden Mond; zwei Atemzüge nur waren vergangen, seit sie ihn gesenkt hatte; jetzt kannte sie Giovancarlo.  - Tommaso Landolfi, Der Mondstein. Zürich 1995 (zuerst 1972)

 

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