Sein Körper war so gut wie völlig bewegungslos, ausgenommen der Kopf, der
sich, um die Augen zu begleiten, um seine Achse (die
wir Hals nennen wollen) drehte, und, zu diesem Kopf gehörig,
der stark vorstehende, spitze und schlecht rasierte Unterkiefer, der mit einem
höchst wirkungsvollen Speichelgeräusch und einem undeutlichen Brumm-Gemurmel
metrisch auf- und niederging (ein Satz, den er von seinem Großvater gelernt,
dessen Bedeutung er jedoch nie gekannt hatte und den er ausschließlich für sich
selber dahinsagte, als Slogan, Ermahnung oder Kommentar: »Bei mir klappt's gut,
bei mir klappt's fein!«); aber er schaute ihr nicht ins Gesicht, nein; er schaute
nicht auf ihre Füße; er schaute auch nicht auf ihren Hals, nicht auf die Schultern,
und kaum, aber wirklich kaum auf die Knie (und auch nur dann, wenn sie nackt
waren). Er folgte ausschließlich den Bewegungen der Mittelteile, Schenkel, Bauch,
Brust und Rücken, und versuchte, als echter Forscher, aus dem Sichtbaren das
gut (mehr oder weniger gut) versteckte Unsichtbare abzuleiten, achtete auf die
vielsagenden Schamhügel, auf das gesegnete Fehlen von Büstenhaltern, auf gewisse
Stoffe, die die günstig kombinierten physischen Gesetze der Bewegung und des
Reibens manchmal deutlich höhergleiten ließen, wobei es sogar vorkam, daß sie
sich zwischen den Pobacken festklemmten, vorausgesetzt, sie besäßen ausreichend
Fleisch, Festigkeit, Deutlichkeit und Formausbuchtung (der Gebrauch der grammatikalischen
Form »besäßen« hat sich uns aus musikalischen Gründen aufgedrängt, trotz der
nicht ganz korrekten Anwendung). Er versäumte es nie, die Linien der Ränder
der Slips oder Höschen wahrzunehmen, sichtbar durch den linearen und reliefartig
lokalisierten Wulst. Ganz besonders, speichelmäßig könnte man fast sagen, lauerte
er auf die anfallsweise auftretenden Ereignisse: Seitenentdeckungen dank aufgesprungener
Blusenknöpfe; Schamhaarfarben, die durch einen Minirock ohne Unterwäsche ans
Licht kamen (und zwar ganz besonders im Falle eines möglichen Widerspruchs mit
dem Farbton des Kopfhaares (und nur dann ging sein Blick höher als bis zum Kinn);
die präzisen Hinteransichten, zu denen er beim Herabbeugen der Person zwecks
Aufhebens eines zu Boden gefallenen Gegenstands gelangte, ließen ihn erschauern.
Bei diesen seltenen und gesegneten Gelegenheiten wurde er von einer Art Ekstase
heimgesucht, aus der er nur durch eine neue Erscheinung,
Trägerin neuer Hoffnungen, herausfand. - Jacques
Roubaud, Die schöne Hortense. München 1992 (dtv 11602, zuerst 1985)
Blick, männlicher (2)
-
Gregor von Rezzori, in: Kurt Böttcher, Johannes Mittenzwei, Zwiegespräch. Deutschsprachige
Schriftsteller als Maler und Zeichner. Leipzig 1980
Blick,
männlicher (3)
Die Blicke dieser Männer - schleichend, hinterhältig, klebrig, feuerglühend
-, durch die man hindurchging wie durch einen Natternwald, sie waren es, die
ihm das Blut zu Kopf steigen ließen. Nur zu gut wußte unser Giovanni, was diese
Augen sagen wollten, dieses flüchtig aufblitzende Lächeln und diese Zeigefinger,
die auf den oder jenen Körperteil Ninettas zeigten, aber rasch von der Faust
eines Freundes niedergehalten wurden mit dem Hinweis auf ›ihn‹. Er wußte endlich,
daß ihrem Vorübergehen und jenen Blicken die Gespräche über sein Mädchen folgen
würden, über dieses »unverschämte Trumm von einem Weibsbild«,
und dann die Uhuuus, die Seufzer, die Rippenstöße und schließlich das Beiseitetreten
des Feurigsten der Gesellschaft, damit er einen Augenblick lang den sinnverwirrenden
Gegenstand vergessen und sich beruhigen konnte. - Vitaliano Brancati, Don Giovanni in Sizilien.Zürich
1987 (zuerst 1942)
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