Bleistiftspitzen    Die Mine eines Bleistifts spitzen. Zunächst mit einem Taschenmesser einige Holzspäne entfernen (eher dicke, denn man liebt das Gefühl, wenn die Klinge kräftig in die holzigen Fibern beißt). Dann die nunmehr schlanke Spitze des schmalen Graphitzylinders entweder auf den Zeigefingerrand der Unken Hand oder auf irgendeine widerstandsfähige Fläche setzen, das Taschenmesser so halten, daß seine Klinge im Verhältnis zur kohlehaltigen Säule schräg steht und diese Säule sorgfältig mit einer Reihe feiner Schabbewegungen spitzen, die ihr mit einem leisen, die Zähne leicht stichelnden {aber eher angenehmen) Geräusch ein bißchen graues Pulver abkratzen, das die Zeigefingerspitze (wenn man auf ihr praktiziert) dunkel färbt oder sich bloß in winzigen Aschenhäufchen niederschlägt, die man mit einem kurzen Pusten von der als Unterlage dienenden Fläche fegt (wenn man diese Methode gewählt hat, um die Risiken eines Schnitts oder den geringfügigen Nachteil einer verschmutzten Fingerspitze zu vermeiden). Auf diese Weise die schwärzliche Spitze des Bleistifts zum winzigen Konus und so spitz wie möglich formen; das Knirschen der Stahlschneide auf der eisenhaltigen Substanz der Mine hören; dieses Knirschen wahrnehmen und dabei spüren, wie hart die beiden sich so aneinanderreihenden Festkörper sind: mehr als jedes von langer Hand vorbereitete Experiment, das einem Physiklehrer gelingt oder mißlingt, ermöglichen diese Akte elementarer Einfachheit eine Kontaktaufnahme mit den Mineralstoffen, die hier völlig in den lächerlich geschrumpften Grenzen dieses leuchtenden und dunklen Körpers stecken, der aufgrund seiner Exaktheit und Feinheit den Edelsteinen nahesteht, aber noch mehr der Kohle dank seiner Undurchsichtigkeit und Färbung. Ich spreche hier von den klassischen Minen, die aus Graphit und das Rückenmark der handelsüblichen Bleistifte sind. Aber es gibt auch noch die Minen der Farbstifte mit weicherer Masse, fetter und fast wie Ton; die Minen der Stifte von Conte, die auf dem Papier rauschen, rauh und aus richtiger Kohle sind; schließlich die Minen jener abstoßenden Erfindung, die »Tintenstift« heißt und vor Gebrauch anzufeuchten ist, die auf der Zunge einen leicht bitteren Geschmack und auf den Lippen violette Streifen hinterläßt, der chemische Farbton schlechthin und Wahrzeichen der Bischöfe, vielleicht wegen der merkwürdigen Wirkungen, die die großen Kirchenfürsten zwischen Himmel und Erde anstiften, Chefs dieser gewaltigen Laboratorien aus Stein, wo sich alltäglich das Wunder der Transsubstantiation ins Werk setzen soll.

Nicht zu vergessen ist dieser Forstgeruch oder dieses Firnisaroma, das dem noch frischen Bleistift entströmt und einlädt, auf ihm herumzukauen.  - Michel Leiris, Streichungen. München 1982 (Die Spielregel Bd. 1, zuerst 1948)

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme