Blechtrommler   Ich tat, was ich vor Jahren getan hatte, nahm mir die Trommel vom Bauch und stellte den Jesus auf die Probe. Vorsichtig, um den bemalten Gips bedacht, schob ich ihm Oskars Weißrote auf die rosigen Oberschenkel, tat das jedoch, um mir Genugtuung zu schaffen, hoffte also nicht blöd auf ein Wunder, wollte vielmehr die Ohnmacht plastisch sehen; denn wenn er auch so dasaß und die Fäuste hob, wenn er auch meine Größe und meinen zähen Wuchs hatte, wenn er auch gipsern und leichthin jenen Dreijährigen markierte, den ich mit soviel Mühe und unter den größten Entbehrungen aufrechterhielt — trommeln konnte er nicht, könnt nur so tun als ob, dachte wohl: hält' ich, so könnt' ich, sagt' ich, du hast und kannst doch nicht, klemmte ihm beide Stöcke, kugelte mich vor Lachen, zwischen die Wurstfinger, zehn — trommle nun, süßester Jesus, bunter Gips trommelt aufs Blech, Oskar zurück, die drei Stufen, runter vom Teppich, auf Fliesen, trommle doch Jesusknabe, Oskar tritt weit hinter sich. Abstand nimmt er und lacht sich schief, weil der Jesus so dasitzt, trommeln nicht kann, vielleicht will. — Begann mich schon Langeweile wie eine Schwarte zu nagen — da schlug er, da trommelte er!

Während alles bewegungslos blieb: er links, er rechts, dann mit beiden Stöcken, schlug über kreuz, wirbelte nicht einmal schlecht, tat das sehr ernsthaft, liebte den Wechsel, war im einfachen Rhythmus genau so gut, wie wenn er's komplizierter hören ließ, verzichtete aber auf alle Mätzchen, hielt sich nur an das Blech, kam mir nicht einmal religiös oder wie ein aufgewärmter Landsknecht, sondern rein musikalisch, verschmähte auch keine Schlager, brachte unter anderem, was damals in aller Leute Mund war, »Es geht alles vorüber«, natürlich auch »Lili Marlen«, drehte mir langsam, vielleicht etwas ruckweise den Lockenkopf mit den blauen Bronskiaugen zu, lächelte ziemlich hochmütig und fügte nun Oskars Lieblingsstücke zu einem Potpourri: das begann mit »Glas, Glas, Gläschen«, streifte den »Stundenplan«, der Bursche spielte genau wie ich Rasputin gegen Goethe aus, stieg mit mir auf den Stockturm, kroch mit mir unter die Tribüne, fing Aale auf der Hafenmole, schritt an meiner Seite hinter dem zum Fußende hin verjüngten Sarg meiner armen Mama und fand, was mich am meisten verblüffte, immer wieder unter die vier Röcke meiner Großmutter Anna Koljaiczek.

Da trat Oskar näher. Da zog es ihn heran. Da wollte er auf den Teppich, wollt nicht mehr auf den Fliesen stehen. Eine Altarstufe gab ihn an die nächste weiter. So stieg ich hinauf und hätte ihn lieber hinabsteigen sehen. »Jesus«, kratzte ich einen Rest Stimme zusammen, »so haben wir nicht gewettet. Sofort gibst du mir meine Trommel wieder. Du hast dein Kreuz, das sollte dir reichen!« Ohne abrupt abzubrechen, beendete er die Trommelei, kreuzte die Stöcke übertrieben sorgfältig auf dem Blech und reichte mir ohne Widerrede, was Oskar ihm leichtsinnig gepumpt hatte.

Schon wollte ich ohne Dank und hastig wie zehn Teufel die Stufen runter und raus aus dem Katholizismus, da berührte eine angenehme, wenn auch befehlerische Stimme meine Schulter: »Liebst du mich, Oskar?« Ohne mich zu drehen, antwortete ich: »Nicht daß ich wüßte.« Er darauf mit derselben Stimme, ohne jede Steigerung: »Liebst du mich, Oskar?« Unwirsch gab ich zurück: »Bedaure, nicht die Spur!« Da ödete er mich zum drittenmal an: »Oskar, liebst du mich?« Jesus bekam mein Gesicht zu sehen: »Ich hasse dich, Bürschchen, dich und deinen ganzen Klimbim!«

Merkwürdigerweise verhalf ihm mein Anwurf zu stimmlichem Triumph. Den Zeigefinger hob er wie eine Volksschullehrerin und gab mir einen Auftrag: »Du bist Oskar, der Fels, und auf diesem Fels will ich meine Kirche bauen. Folge mir nach!«   - Günter Grass, Die Blechtrommel. Frankfurt am Main 1965 (Fischer-Tb. 47314, zuerst 1959)

 

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