Birkauge    Der Vollmond stand hoch oben und das Feuer war erloschen. Mir zitterten die Beine, daß ich schwankte wie eine Binse. Mochte es wohl etliche Zeit so gewesen sein, als taumelte die Erde, denn ich sah den Mond flattern am Himmel hin und her, bis er in Dunkelheit ertrank. — Da erkannte ich, daß ich blind geworden auch auf meinem andern Auge, ma­ßen keine fernen Wälder und Berge mehr waren, nur schweigende Finsternis, Weiß nicht mehr, wie es ge­schehen, sah ich plötzlich mit dem Birkauge, das doch tot gewesen, eine seltsame Welt, darinnen blaue fremde Vogel mit bärtigen Menschengesichtern in der Luft kreisten, Sterne mit langen Spinnenbeinen über den Himmel liefen, steinerne Bäume wanderten, Fische mit Händen einander stumme Zeichen gaben, und vieles andere absonderliche war da, das mich unbekannt anrührte und mir dennoch vertraut schien, als hätte ich von Anbeginn alles Erinnerns dort gestanden und es nur vergessen gehabt. War auch ein ander Fühlen des »Vorher« und »Nachher« in mir, als sei alle Zeit seitwärts abgeglitten.------

— [Brandfleck] — — — in weiter Ferne aus der Erden ein schwarzer Rauch emporstieg, flach wie ein Brett, und wurde immer breiter, bis er als tiefdunkel Dreieck mit der Spitze nach abwärts am Himmel stand, barst, und ein glutroter Spalt klaffte von oben bis unten, darinnen eine ungeheure Spindel sich drehte mit rasender Schnelle----------[Brandfleck] - ich zuletzt die schreckliche schwarze Mutter Isaïs sah mit ihren tausend Händen Menschenfleisch weben am Spinnrocken — — — aus dem Spalt Blut herab sickerte---------etzliche Tropfen, abspritzend von der Erden, mich trafen, so daß mein Leib ge­sprenkelt ward, wie eines von der roten Pest Befalle­nen, was wohl die geheimnisvolle Bluttaufe gewesen ist — — — (Brandfleck) — — — worauf der Namensruf der Großen Mutter wahrscheinlich ihr Töch­terlein, das bis dahin schlummernd in mir gelegen als ein Samenkorn, auferweckt hat, womit ich durchge­drungen bin zum Ewigen Leben und immerdar ver­bunden mit ihr zu zwiefachem Sein.------Ich habe auch bis damals nie die Brunst der Menschen ge­kannt, bin aber seitdem auf ewig dagegen gefeit, denn wie könnte von dem Fluch Einer ergriffen wer­den, der sein eigen weiblich Teil gefunden hat und in sich trägt! — Dann, als ich wieder sehend gewor­den mit dem menschlichen Auge, mir eine Hand aus der Tiefe des Loches in der Moorhaide ein Ding ent­gegenhielt, das glitzerte wie mattes Silber;----------  ich konnte es lange nicht ergreifen mit den irdischen Fingern, aber das Isai'stochterlein in mir reckte da­nach den glatten Kätzinnenarm aus und reichte mir den Schuh hin: »Den Silbernen Schuh«, der alle Angst nimmt von dem, der ihn trägt.---------hernach mich einer Gauklertruppe anschloß als Seiltänzer und Tierbändiger. — ------Jaguare, Pardel und Panther in wildem Schreck fauchend in die Ecken flohen, wenn ich sie ansah mit dem Birkauge.------   - Gustav Meyrink, Der Engel vom westlichen Fenster. München 1984 (zuerst 1927)
 

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