iegung In
Helsinki stieß ich eines Nachts auf einen Flur, der in
dem architektonischen Gleichmaß des Gerichtshofes eine unerwartete Biegung machte;
eine Tür führte in ein geräumiges Zimmer, in dem der
Mond bereits der Anfang eines Bildes von Paul Delvaux
war; ich kam zu einem Balkon und entdeckte einen verschwiegenen
Garten, den Garten des Ministers oder des Richters, ein kleiner Garten zwischen
hohen Mauern. Am Rande des Balkons ging man auf einer schmalen eisernen Treppe
in ihn hinunter, und alles war in kleinstem Maßstab, so als wäre der Minister
ein finsterer Zwerg. Als ich einmal mehr die Ungehörigkeit empfand, mich in
diesem Garten eines Gerichtshofes einer Stadt eines Landes zu befinden, das
Tausende Kilometer von diesem gewöhnlichen, alltäglichen Ich entfernt ist, erinnerte
ich mich an das weiße Einhorn, das Gefangener des
blauen Wandteppichs ist, der Gefangener des kleinen Raums ist, der Gefangener
des Cloister's ist, das Gefangener New Yorks ist. Als ich noch einmal durch
den großen Raum ging, sah ich auf einem Schreibtisch einen Karteikasten
und öffnete ihn: alle Karteikarten waren unbeschrieben. Ich hatte einen blauen
Filzstift, und bevor ich hinausging, zeichnete ich auf fünf oder sechs Karteikarten
Labyrinthe und steckte sie zwischen die anderen
Karteikarten; ich stelle mir mit Vergnügen vor, daß eine verdutzte Finnin meine
Zeichnungen einmal findet, und daß es womöglich einen Aktenvorgang geben wird.
- (cort)
Biegung
(2) Enige Schritte von der Stelle entfernt, wo Millemosche,
Pannocchia und Carestia sitzen, sieht man eine Biegung, die hinter einem Röhricht
verschwindet. Doch das Röhricht hat keine Bedeutung, wichtig ist die Biegung.
Auch wenn sie hinter einem Fels oder einem Hügel verschwände, leicht könnte
jemand oder etwas von der Biegung herkommen, ein Mensch etwa oder ein Tier oder
wer weiß was sonst noch. Wäre die Biegung in Afrika, könnte ein Tiger daherkommen,
doch glücklicherweise sind wir nicht in Afrika. Es wäre ein Unglück, käme ein
Tiger daher. Mit ein wenig Glück könnte statt dessen ein Wagen voll mit herrlichen
Dingen zum Essen daherkommen, doch von denen ziehen während des gesamten Mittelalters
höchstens fünf oder sechse vorbei, und daher ist es besser, einfach nicht weiter
daran zu denken. Meistens kommt von einer Biegung nichts und niemand daher.
Dann, gerade wenns keiner erwartet, kommt die Pest daher. Einmal ist auch der
Papst dahergekommen. So geschieht es, daß Millemosche, Pannocchia und Carestia,
dieweil sie sich die Füße jucken und sie mit Spucke massieren, hin und wieder
einen Blick hinüber zur Biegung werfen. Man kann ja nie wissen. Und dann endlich
kommen, durch vieles Gucken, drei Mönche des Weges. Sie sind zerlumpt und zerflickt,
sie gehen vornübergebeugt, als würden sie etwas schieben, doch statt dessen
schieben sie nur Luft vor sich her. -
Luigi Malerba, Tonino Guerra: Von Dreien, die auszogen, sich den Bauch zu füllen.
Berlin 1996 (zuerst 1969)
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