ibelwort
«Ein Bibelwort, eine alte Lebensregel sagt:
Lasset die Toten ihre Toten begraben. Damit ist gemeint, daß nur die Lebenden
unserer Hilfe bedürfen. Menschen aus dem Norden stellen sich dabei einen Unfall
vor, bei dem es einen Toten und einen Verletzten gegeben hat, und daß die Vernunft
nun gebietet, den Toten sich selbst zu überlassen und sich um die Rettung des
Verletzten zu kümmern. Ein Sizilianer dagegen denkt
an einen Ermordeten und seinen Mörder, und der Lebende, dem geholfen werden
muß, ist für ihn eben dieser Mörder. Was ein Toter
im übrigen für einen Sizilianer bedeutet, hat vielleicht niemand besser als
jener Lawrence verstanden, der so viel dazu beigetragen hat, daß es mit
dem Eros heute aus und vorbei ist. Ein Toter ist eine lächerliche Seele im Fegefeuer,
ein kleiner Wurm mit menschlichen Zügen, der auf glühenden Ziegeln herumhüpft...
Wenn der Tote uns allerdings durch Blutsbande verbunden ist, dann muß man alles
tun, damit der Lebende, das heißt der Mörder, ihm möglichst bald ins Fegefeuer
folgt. In diesem Punkt bin ich kein richtiger Sizilianer, Ich war niemals geneigt,
den Lebenden, also den Mördern, zu helfen, und habe immer gemeint, daß das Zuchthaus
ein wirklicheres Fegefeuer ist... » - Leonardo Sciascia, Tote auf Bestellung (mit zwei anderen
Mafiaromanen). Zürich 1983
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