Bewahrungsmaschine    Vor seinem inneren Auge er­blickte er ein sonderbares Bild: die letzte Partitur eines Schubert-Trios, das letzte Exemplar, zerfleddert und voller Eselsohren, wie es auf dem Fußboden eines ansonsten leergeräumten Raums, wahrscheinlich in einem Museum, lag.

Hoch oben flog ein Bomber. Bomben fielen herab und rissen das Museum in Stücke, legten es brüllend in Schutt und Asche. In den Trümmern verschwand die letzte Partitur, begraben, um dort zu verrotten und zu zerfallen.

Und dann sah Doc Labyrinth in seiner Vision, wie die Partitur sich selbst wieder ausgrub: wie ein Maulwurf, mit schnellen Schaufelpfoten, scharfen Zähnen, voller wilder Energie.

Wenn Musik diese Fähigkeit besäße, diesen ganz gewöhnlichen, instinktiven Überlebensdrang, wie ihn jeder Wurm und jeder Maulwurf besitzt, dann sähe alles anders aus! Wenn Musik umgeformt werden könnte zu lebenden Wesen, zu Tieren mit Krallen und Zähnen, dann könnte sie wohl auch überleben. Wenn man nur eine Maschine bauen könnte, eine Maschine, um Partituren zu lebenden Gebilden zu verarbeiten.

Aber Doc Labyrinth war kein Mechaniker. Er machte versuchsweise ein paar Skizzen und schickte sie hoffnungsvoll an die Forschungslaboratorien. Die meisten wa­ren aber natürlich vollauf mit irgendwelchen Aufträgen für die Kriegswirtschaft beschäftigt. Doch schließlich fand er die geeigneten Eeute. Eine kleine Universität im Mittelwesten begrüßte seine Pläne, und man war glücklich, sofort mit der Arbeit an der Maschine beginnen zu können.

Wochen vergingen. Schließlich erhielt Labyrinth eine Postkarte von der Universität. Mit der Maschine gehe es gut voran; ja, sie sei sogar schon fast fertig. Man habe einen Probelauf durchgeführt und sie mit zwei beliebten Melodien gefüttert. Das Resultat: Zwei kleine mausartige Tiere waren herausgehuscht und im Labor herumgerast, bis die Katze sie gefangen und gefressen hatte. Aber die Maschine war ein Erfolg.

Bald darauf traf sie bei ihm ein, sorgfältig in eine Holz­kiste verpackt, mit Drähten umwickelt und voll versichert. Er war ziemlich aufgeregt, als er sich an die Arbeit machte und die Maschine auspackte. Viele Gedanken müssen ihm durch den Kopf gegangen sein, als er die Regler einstellte und die erste Umwandlung vorbereitete. Er hatte für den Anfang eine ganz besondere Partitur ausgewählt: Mozarts g-Moll-Quintett. Eine Weile blätterte er noch gedankenverloren in ihr herum, dann trug er sie zur Maschine und speiste sie ein.

Es dauerte. Labyrinth stand vor der Maschine und wartete nervös und voller Anspannung und ohne die geringste Ahnung, was er vorfinden würde, wenn er das Fach öffnete. Er tat ein gutes und tragisches Werk zugleich, so schien es ihm, indem er die Musik der großen Komponisten für die Ewigkeit rettete. Wer würde es ihm danken? Was mochte ihn erwarten? Welche Formen würde all das am Ende annehmen?

Es gab viele unbeantwortete Fragen. Noch während er so sinnierte, leuchtete das rote Licht der Maschine auf. Die Prozedur war vorüber, die Umwandlung hatte bereits stattgefunden. Er öffnete die Tür.

»Du liebe Güte!« sagte er. »Das ist allerdings seltsam.«

Kein Vierbeiner, sondern ein Vogel trat heraus. Der Mozartvogel war hübsch, klein und schlank, und hatte das imposante Gefieder eines Pfaus. Er lief ein wenig durchs Zimmer und kam dann neugierig und freundlich zu ihm zurück. Zitternd bückte sich Doc Labyrinth mit vorgestreckter Hand zu ihm herab. Der Mozartvogel kam näher. Dann schwang er sich plötzlich empor in die Luft.

»Erstaunlich«, murmelte er. Geduldig und freundlich lockte er den Vogel, bis dieser schließlich zu ihm herabgeflattert kam. Labyrinth streichelte ihn lange und dachte nach. Wie würden die andern aussehen? Er hatte keine Vorstellung. Behutsam hob er den Mozartvogel hoch und tat ihn in eine Kiste.

Noch überraschter war er am nächsten Tag, als, ernst und würdig, der Beethovenkäfer zu ihm heraustrat.  - Philip K. Dick, Die Bewahrungsmaschine. In: Und jenseits - das Wobb. Sämtliche SF-Geschichten Bd. 1 Zürich 1998

Maschine

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