ettkantenblick    Sally Willows saß auf dem Rand des Bettes, mit einem zarten, aber lustigen Nachthemd bekleidet, das eine ziemlich interessante weibliche Hügellandschaft enthüllte, und richtete ein Paar große braune Augen auf ihren Mann. Seit einigen Minuten ging das nun schon so - dieses kalte, leidenschaftslose Abschätzen. Wachsende Erbitterung verdrängte jetzt jedoch allmählich die Kälte. Wärme kroch in ihre Augen, machte sie noch schöner und eindrucksvoller, aber freundlich schauten sie deswegen immer noch nicht drein. Ganz im Gegenteil.

Bis jetzt hatte sich Mrs. Sally Willows selbst die Gnade der Sprache verweigert, wofür sie durchaus ein Lob verdiente. Diese Form der Selbstbeherrschung legte sie ihrer Zunge nur äußerst selten auf. Jetzt wartete sie, wartete darauf, daß dieser Socken endlich ausgezogen würde und hoffte dabei wider jegliche Vernunft, daß diese Krise vorbeigehen und der Abend, wenn auch langweilig, so doch ruhig bleiben würde.

Im Augenblick gab sie sich damit zufrieden, auf dem Bettrand zu sitzen und schweigend ihren Mann zu betrachten. Sie betrachtete ihn, wie sie einen bloßen Gegenstand betrachtet hätte, bestenfalls einen auf höchst ungeschickte Weise beseelten Gegenstand, der sich ständig in ihr Privatleben drängte und ihr im Weg herumstand - furchtbar im Weg.

Vor fünf Jahren war alles noch so ganz anders gewesen. Damals hätte sie Tim Willows niemals so angeschaut, wie sie ihn jetzt anschaute. In diesen frühen Tagen ihrer Ehe hatte ihr dieses männliche Wesen nie im Weg herumgestanden, hatte ihr gar nicht oft genug über den Weg laufen können. Natürlich. Das war ja auch noch zu der Zeit gewesen, bevor er in ihren Augen zu einem bloßen Gegenstand heruntergekommen war. Und bevor ihre eigene persönliche Erfahrung, erweitert durch die stellvertretenden Af-fairen, aufgetischt von den Hohepriestern Hollywoods, sie gelehrt hatten, wie Männer wirklich sein konnten, wie ungeheuer attraktiv und zerstörerisch, und wie sie sich doch gleichzeitig einen jungenhaften, unverdorbenen Charme bewahren konnten... großartige, schweigsame, leidenschaftliche Männer mit verwegenen Augen und gerade der richtigen Spur von Hilflosigkeit... Männer, die ein Taxi auftreiben konnten, wenn keine Taxis aufzutreiben waren und die Premierenkarten kaufen oder unbeschränkte Zimmerfluchten auf der Ile de Trance reservieren konnten - wobei sie niemals die Blumen und irgendein kleines Spielzeug vergaßen - alles mit bewundernswerter Präzision und Schnelligkeit und ohne auch nur im geringsten Nerven zu zeigen. Wann immer ihr eigener Mann ähnliche Operationen, natürlich auf wesentlich niedrigerem Niveau, versuchte, kehrte er unweigerlich ohne jeden Erfolg zurück, ein nervöses Wrack, das sich bitterlich über die Schikanen der Menschheit und die Kompliziertheit des modernen Lebens beklagte. Ach was, die arme Kreatur konnte ja nicht mal Geld wechseln, ohne sich dabei so hoffnungslos zu verheddern, daß er sich mit zitternden Händen hilfesuchend an sie wenden mußte. Oft genug befürchtete sie, der Mann würde einfach losplappern anstatt vernünftig zu reden.

Während sie so auf dem Bettrand saß - eine schlanke, geschmeidige, äußerst begehrensweite Gestalt mit geschickt frisierten, glänzend schwarzen Haaren - fielen Sally Willows mindestens ein paar Dutzend Männer ein, die ihr besser gefallen hätten als ihr Mann, die ihrer Gunst würdiger gewesen wären. Als sie Tim Willows geheiratet hatte, da hatte sie ihre eigenen Möglichkeiten oder die Möglichkeiten anderer noch nicht richtig zu würdigen gewußt. Müßig fragte sie sich, was es wohl für ein Gefühl sein mochte, von einem herrlich reichen Mann ausgehalten zu werden, der all ihre Wünsche erfüllte, einschließlich der uneingeschränkten Freiheit, ihren Charme auch auf andere, vielleicht eine Spur jüngere Männer wirken zu lassen. Wie die meisten Frauen, die sich gestatteten, überhaupt zu denken, hatte sie manchmal das Gefühl, daß aus ihr eine ganz ordentliche Halbweltdame werden könnte, die sich ihre Anhänger selbst aussuchen, sie sogar kommandieren konnte. Natürlich nichts Schmutziges oder Schäbiges, das verstand sich von selbst. - Thorne Smith, Verkehrte Welt. Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1933)

 

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