Der Kalif läßt sich auf die Magie ein; die Stimme des Händlers erteilt
ihm aus der Finsternis den Rat, dem muselmanischen Glauben abzuschwören
und die Mächte des Dunkels anzubeten. Wenn er das tut, wird sich ihm das
Alcazár des Unterirdischen Feuers erschließen. Unter seinen Kuppeln wird
er die Schätze schauen können, die ihm die Gestirne verheißen haben, die
Talismane, welche die Welt unterwerfen, die Kronreife der präadamitischen
Sultane und des Suleiman Bendaud. Der unersättliche Kalif läßt sich überreden,
und der Händler verlangt von ihm vierzig Menschenopfer. Viele blutige Jahre
vergehen; Vathek, die Seele schwarz von Greueltaten,
gelangt zu einem kahlen Berg. Die Erde tut sich auf und voll Entsetzen
und Erwartung steigt Vathek auf den Grund der Welt hinab. Eine schweigende,
bleiche Menschenmenge irrt, ohne sich anzublicken, durch die prächtigen
Zimmerfluchten des grenzenlosen Palastes. Der Händler hat nicht gelogen:
Das Alcazár des Unterirdischen Feuers quillt über von Herrlichkeiten und
Talismanen, aber es ist auch die Hölle. -
Jorge Luis Borges, Vorwort zu: William Beckford, Vathek. Stuttgart 1983 (Bibliothek
von Babel, Bd. 3)
Beschwörung (2) Man findet in dem Brief von
Magister Achatius Lampirius eine ziemlich derbe Verspottung der
Beschwörungspraktik, die man anwandte, um sich ein Mädchen
gefügig zu machen. Das Geheimnis bestand darin, ein Haar des Mädchens zu
erhaschen; man tat es zunächst in seine Kniehose; man legte eine Generalbeichte
ab, und man ließ drei Messen lesen, während deren man das Haar um seinen
Hals legte; bei der letzten Evangelienlesung zündete man eine Kerze an
und sprach dabei folgende Formel: »O Kerze, bei der Kraft des allmächtigen
Gottes, bei den neun Chören der Engel, bei der schlündigen Kraft beschwöre
ich dich: führe mir dieses Mädchen in Fleisch und Bein zu, auf daß ich
es nach meiner Lust schnabuliere« - (
vol
)
Beschwörung (3) Denkt eines Verstorbenen nur recht, und nicht bloß der Gedanke an den Verstorbenen, der Verstorbene selbst ist im Momente da. Ihr könnt ihn innerlich beschwören, er muß kommen, ihn festhalten, er muß bleiben, haltet nur Sinn und Gedanken auf ihm fest. Denkt seiner mit Liebe oder Haß, er wird es spüren; - mit stärkerer Liebe, stärkerem Haß, er wird es stärker spüren. Sonst hattet ihr wohl Erinnerung an die Toten; nun wißt ihr sie zu brauchen; könnt einen Verstorbenen noch wissentlich mit eurem Andenken beglücken oder plagen; euch mit ihm versöhnen oder unversöhnlich streiten, nicht euch bloß wissentlich auch ihm. Tut's stets im besten Sinne; und sorgt nun aber auch, daß das Andenken, was ihr selber hinterlaßt, euch künftig selber fromme.
Wohl dem, der einen Schatz von Liebe, Achtung, Verehrung, Bewunderung im Andenken der Menschen hinter sich gelassen. Was er für's diesseitige Leben hinter sich gelassen, gewinnt er mit dem Tode, indem er das zusammenfassende Bewußtsein für alles gewinnt, was die Nachgelassenen von ihm denken; hebt damit den Scheffel, von dem er im Leben bloß einzelne Kömer zählte. Das gehört zu den Schätzen, die wir für den Himmel sammeln sollen.
Wehe dem, welchem Verwünschungen, Fluch, ein
Andenken voll Schrecken folgen. Die ihm im Diesseits folgten, holen ihn
im Tode ein; das gehört zu der Hölle, die seiner
wartet. Jedes Wehe, das ihm nachgerufen wird, ist ein ihm nachgesandter
Pfeil, der in sein Inneres eindringt. - Gustav Theodor Fechner,
Das Büchlein vom Leben nach dem Tode, in: G.T.F., Das unendliche Leben.
München 1984 (Matthes & Seitz debatte 2, zuerst 1836)
Beschwörung (4)
1. ALbanie / gebrauche deiner zeit / 2. Albanie / der schönen augen licht / 3. Albanie / was quälen wir uns viel / 4. Albanie / soll denn dein warmer schooß 5. Albanie / wer kan die Süßigkeit 6. Albanie / weil noch der wollustthau |
- (
hofm
)
Beschwörung (5) Er will die Toten um Hilfe bitten. Er reitet in den hohen Norden, auf der Suche nach einem Grab.
Dort liegt die klügste aller Wahrsagerinnen tief unter der Erde. Es ist die Volve, die einst so viele Geheimnisse kannte. Nun braucht Odin sie; denn sie ist die einzige, die ihm helfen kann. Auf einem Hügel läßt er sich nieder und singt. Es sind Zauberlieder, die so stark sind, daß sie die Toten zum Leben erwecken können. Leise und vorsichtig hebt sein Gesang an, dann wird er lauter und fordernder, so lange, bis der Torfboden sich öffnet und die kalte Erde Risse zeigt.
Ein Häufchen Lumpen steigt aus dem Grab. Es ist die Tote, die er aufgeweckt
hat. »Wer ist es, der meine Ruhe stört?« fragt sie. »Wer zwingt mich, mein Grab
zu verlassen?« - »Ich bin es, und Wegtam werde ich genannt«, antwortet Odin.
Er lügt. Die Volve blickt auf ihre wurmzerfressenen Hände und sagt: »Siehst
du nicht, wie kalt ich bin und bis aufs Mark vom Schnee durchnäßt? Ich bin schon
lange tot. Laß mich in Ruhe!« - Tor Åge Bringsværd, Die wilden Götter.
Dt. von Tanaquil u. Hans Magnus Enzensberger. Zeichnungen von Johannes Grützke.
Frankfurt am Main 2001
Beschwörung (6) In den Archives de la Bastille
ist uns die Formel erhalten geblieben, die die berüchtigte Frau von Brinvilliers
zu ihren Liebes- und sonstigen magischen Operationen zu benutzen pflegte. Sie
warf ein Reisbündel ins Feuer und sprach dabei: »Reisbündel, ich brenne dich,
als das Herz, den Körper, das Blut, das Begriffsvermögen, die Bewegung, den
Geist des X. Auf daß er nicht zur Ruhe komme bis in das Mark seiner Knochen
hinein, weder an einer Stelle bleiben, sprechen, reiten, trinken noch essen
könne, bis er getan, was ich von ihm begehre.« Es gibt moderne Zaubersprüche,
die auffallend an diesen erinnern. Wie schon hier ersichtlich, läßt das Zartgefühl
des Beschwörers oft viel zu wünschen übrig. - (
erot
)
Beschwörung (7) Erhebet euch, Kiefernwälder,
erhebet euch im Wort. Unbekannt seid ihr. —. Rückt heraus eure Formel. - Nicht
ohne Grund seid ihr doch auffällig geworden dem F. Ponge . . . - Francis
Ponge, Das Notizbuch vom Kiefernwald und La Mounine. Frankfurt am Main 1982 (zuerst
1952)
Beschwörung (8)
Beschwörung durch Lachen O, brecht in Lachen aus, ihr Lacher! |
Beschwörung (9) Da nun der Beweis geliefert war, daß die Beschwörung möglich ist, gehe ich dazu über, Tiere heraufbeschwören zu wollen, was mir bisher nur ein einzigesmal und sehr kurz gelungen ist. Heute aber wunderbarer Erfolg. Kaum habe ich mich dazu entschlossen, die Beschwörung eines VierfÜßlers zu versuchen, und sogar noch bevor ich meinen Willen in Anwendung gebracht hatte, erscheint ein Vierfüßler. Riesenhaft, seine vier Pfoten, die ihn in eine extreme Höhe versetzen.
Die Erscheinung hat etwas Theaterhaftes, wirklich sehr wenig Natur. Mehr eine Illustration des Wortes.
Das Meskalin macht nie Natur.
Die kennt es gar nicht.
Es ist
Komponist und Mechaniker. Vier Pfoten, das ist so ungefähr das Richtige, um
einen Vierfüßler zu machen. Wie ich noch bedaure, nicht wenigstens außerdem
noch den Schwanz zu sehen, erhebt sich augenblicks aus dem Hinterteil eines
plötzlich enthüllten gewaltigen Affen, mit einem einzigen Wurf, ein gewaltiger
Schwanz, der mich buchstäblich zurückprallen läßt, so nah schien er sich mir
direkt unter der Nase zu erheben, ein Schwanz, in
einem Augenblick aufgestellt, der mich, hätte er mich getroffen, wie einen Bleistift
umgeworfen hätte.
Allgemeine Belebung. Dinge, Tierglieder, in einer kinetischen Betrunkenheit,
durchqueren pfeilschnell, in Zebrastreifen, von allen Seiten das Gesichtsfeld.
-
Henri Michaux, Turbulenz im Unendlichen. Die Wirkungen des Meskalins. Frankfurt am Main 1971
Beschwörung (10)
Beschwörung (11)
Beschwörung (12) Die spiritistischen Sitzungen, die der Gründung der Unitarischen Kirche und Sonntagsschule in Rutherford vorausgingen, wurden über Jahre hin fortgesetzt. Eines Abends saß Mutter, als die Sache noch in den Anfängen steckte und sie wegen ihrer Sprachprobleme mehr oder weniger als Außenseiterin galt, ein wenig abseits von den anderen und hörte bloß zu; plötzlich hob Grandma eine geschlossene Faust und bat denjenigen zu sprechen, der von dem repräsentiert werde, was sie, ohne es zu zeigen, in der Hand halte.
Gleich darauf, allem Anschein nach wahnsinnig geworden, rastete Mutter aus. Unfähig, sie zu beruhigen, fiel der alte Demarest auf die Knie und flehte Gott an, diese Frau wieder zur Besinnung zu bringen.
So inbrünstig war sein Gebet, und so beeindruckt waren alle Anwesenden vom. Ernst der Situation, daß Mutter tatsächlich nach kurzer Zeit zu sich kam und sich wieder normal unter ihnen bewegen konnte — wofür Mr. Demarest Gott seinen Dank abstattete - und Grandma einen gehörigen Verweis für ihren Beitrag in dieser Sache erteilte.
Wie es scheint, hatte sie mit ihrer toten Tochter Rosita sprechen wollen, einer erst kürzlich verstorbenen Epileptikerin, die Mutter gut gekannt hatte. Um dieszi, bewerks teil igen, hatte sie, unbemerkt von den anderen, eine Haarlocke der Toten in ihrer Faust verborgen und dann nur darum gebeten, daß der Geist, ohne sich zu erkennen zu geben, auf irgendeine Weise sagen solle, daß er anwesend sei. Mutter, ihre alte Freundin, war das Medium, dessen sich die Unglückliche für ihr Erscheinen bedient hatte.
Bei solchen Gelegenheiten - und das zog sich über Jahre hin - wurde Mutter von einem unkontrollierbarem Kopfschütteln befallen. Überall und jederzeit konnte das auftreten. Einmal habe ich es sogar gesehen, als sie in der Sonntagsschule Klavier spielte. Ed und mir war das furchtbar peinlich. Aber am häufigsten zeigte es sich zu Hause, und da vor allem in emotionalen Streßsituationen, etwa nach dem Tod eines Freundes oder Vertrauten, wobei dies jedoch nicht unbedingt mit dem Erscheinen der betreffenden Person verbunden war.
Wir alle wußten dann immer gleich Bescheid - Mutters Blick wurde starr, ihr
Gesicht rötete sich, und sie streckte einen Arm aus und nahm einen von uns bei
der Hand. Manchmal deutete sie an, daß sie Ed oder mich oder irgendeinen anderen
haben wollte. Dann fragte jemand: Meinst du den, oder vielleicht den? Worauf
sie, wie gegen starken Widerstand ankämpfend, ihre Hand auszustrecken versuchte,
was ihr aber nicht gelang. Sie mühte sich ab, die ihr angebotene Hand zu ergreifen,
aber wenn es nicht die war, die sie haben wollte, zuckte sie heftig zurück und
konnte sie einfach nicht anfassen. Ihr Gesicht war rot und verzerrt, sie konnte
nicht sprechen, ihr ganzer Körper befand sich im Griff einer unergründlichen
Gewalt. -
(wcwa)
Beschwörung (13) Wie man Kristalle beschwören
und alle Dinge darin sehen kann. Beschwören ist nichts
anderes als ein Ding richtig kennen, wissen und
verstehen, was es ist. Der Kristall
ist eine Figur der Luft, in der alles, was in der Luft beweglich oder unbeweglich
ist, gesehen wird. Es erscheint auch in einem Spiegel, in Kristallen und Wassern.
Denn Luft, Wasser und Kristalle gelten für die Augen gleich, nämlich als ein
Spiegel, in dem man die Bilder verkehrt sieht.
-
(
par
)
Beschwörung (14) Das Museum war verhängt wie ein Katafalk. Auf der Kante des Tisches, der an die Wand unter das Porträt von Bouvards Vater gerückt war, brannten drei Kerzen. Über dem Bildnis hing der Totenkopf. Sie hatten sogar einen Leuchter ins Innere des Schädels gesteckt, und Lichtstrahlen drangen aus den beiden Augenhöhlen hervor.
In der Mitte des Zimmers dampfte Weihrauch aus einer Kohlenpfanne. Bouvard stand dahinter; und Pecuchet," der ihm den Rücken zuwandte, warf Hände voll Schwefel in den Kamin.
Bevor man einen Toten anruft, bedarf man der Einwilligung der Dämonen. Da dieser Tag nun ein Freitag war - der Tag, der Bechet gehört -, mußte man sich in erster Linie an Bechet wenden. Nachdem sich Bouvard nach rechts und nach links verneigt und die Arme erhoben hatte, begann er: »Bei Ethaniel, Anazin, Ischyros . . .«
Das übrige hatte er vergessen.
Pecuchet flüsterte ihm schnell die Worte zu, die er auf einem Blatt Papier aufgeschrieben hatte: »Ischyros, Athanatos, Adona, Sadaï, Eloy, Messiasos (die Litanei war lang), ich beschwöre dich, ich erspähe dich, ich befehle dir, o Bechet!«
Dann dämpfte er die Stimme: »Wo bist du, Bechet? Bechet! Bechet! Bechet!«
Bouvard sank m den Sessel und war heilfroh, daß er Bechet nicht sah, eine innere Stimme warnte ihn vor seinem Beginnen als einem Frevel. Wo war die Seele seines Vaters? Vermochte sie ihn zu hören? Wenn sie auf einmal da wäre?
Langsam bewegten sich die Vorhänge im Wind, der durch eine zerbrochene Scheibe drang - und die Kerzen warfen schwankende Schatten auf den Totenkopf und das gemalte Gesicht; ein erdiger Farbton glich beide einander seltsam an. Schimmel zerfraß die Wangen des Porträts, seine Augen waren erloschen, aber darüber flackerte das Licht in den Höhlen des leeren Schädels. Zuweilen schien es, als trete er an die Stelle des gemalten Hauptes, als schwebe er hernieder auf dessen Rockkragen, vom Backenbart umrahmt; und die Leinwand, schon halb aus dem Spannrahmen gelöst, bewegte sich zitternd.
Allmählich fühlten sie etwas wie einen leichten Hauch, die Nähe eines Wesens aus dem Jenseits kündigte sich an. Schweißtropfen perlten auf Pecuchets Stirn, und jetzt fing Bouvard an, mit den Zähnen zu klappern, ein Krampf faßte ihn in der Herzgrube; der Boden schwankte wie eine Woge unter seinen Füßen; der Schwefel, der im Kamin brannte, schlug sich in mächtigen Rauchschwaden nieder; gleichzeitig flatterten Fledermäuse hin und her; da ertönte ein Schrei; wer war das?
Unter den Kapuzen waren ihre Gesichter dermaßen verzerrt, daß ihr Entsetzen dadurch noch schlimmer wurde, sie wagten weder sich zu rühren noch zu sprechen; da hörten sie hinter der Tür Seufzer wie von einer Seele m Todesnot.
Endlich wagten sie sich nebenan.
Es war ihre alte Magd, die sie durch eine Türritze beobachtet und geglaubt hatte den Teufel zu sehen; sie war im Hausflur niedergekniet und bekreuzigte sich unaufhörlich.
Alles Zureden war umsonst. Noch am selben Abend verließ sie ihr Haus, denn
bei solchen Leuten wollte sie nicht länger dienen. -
(bouv)
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