Goethe
,
Dichtung und Wahrheit
Beruhigung (2) Vor dem Abendessen kam Captain Cocke halb betrunken zu uns
und begann zu reden; aber Sir W. Penn, der seine Stimmung kannte und wußte,
daß sein Gerede kein Ende nehmen würde, trinkt vier große Gläser Wein mit ihm,
eins nach dem anderen, auf des Königs Gesundheit, und machte ihn dadurch völlig
betrunken, und so ging er weg, und dann setzten wir uns zum Essen. -
(
pep
)
Beruhigung (3) Wenn Parteiwut in einem Staate zu heftig wird, so sei ein wunderbares Mittel in Anwendung zu bringen, damit der Frieden wiederhergestellt werde. Die Methode ist folgende: Man nimmt ungefähr hundert Parteiführer und stellt sie paarweise nach Ähnlichkeit ihrer Schädelgröße auf. Alsdann sägt ein geschickter Operateur die Schädel eines jeden Paares zu derselben Zeit und in solcher Weise ab, daß er das Gehirn in gleiche Hälften teilt. Alsdann werden die abgesägten Teile des Schädels vertauscht und an den Schädel des Parteigegners angefügt. Allerdings scheint dies Verfahren eine große Geschicklichkeit zu erfordern. Der Professor gab uns jedoch die Versicherung, der Erfolg werde unfehlbar sein, wenn die Operation nur auf geschickte Weise ausgeführt würde.
Seine Überlegung war folgende: Da die beiden Gehirne alsdann in einem Schädel
die Sache unter sich ausmachen, werden sie sich sehr bald gegenseitig verständigen
und dadurch jene Mäßigung und regelrechte Denkmethode bewirken, welche den Köpfen
derjenigen so sehr zu wünschen ist, die einzig zu dem Zwecke in die Welt gekommen
zu sein glauben, um deren Bewegung zu überwachen und zu leiten. Was nun den
Unterschied der Gehirne der Parteiführer nach Quantität und Qualität betreffe,
so versicherte uns der Doktor, dies sei nach seiner Erfahrung kein sehr wichtiger
Umstand.
- (
gul
)
Beruhigung (4) Sie
hätten den kleinen Gilgen sehen sollen, wie er einmal einen erregten
Katatoniker beruhigt hat, der um zwei Köpfe größer war als er. Ganz allein.
Ich bin zufällig dazugekommen ... Sie haben doch schon Melker gesehen, die mit
dem störrischen Tier umzugehen wissen .. . Der Muni senkt die Hörner und will
auf sie los, und sie locken: Ssä, ssä, ssä .. . Der kleine Gilgen sagte auch
ssä, ssä zu dem Katatoniker .. . Und der Erregte wurde ruhig, er ließ sich ins
Bad führen, und Gilgen blieb ganz allein bei ihm und redete mit ihm, obwohl
der andere katzsturm war.. . Aber das störte den Gilgen nicht. Es gibt so Menschen,
die ein Gefühl haben für Kranke. - Friedrich
Glauser, Matto regiert. In: F. G.: Kriminalromane. Berlin 1990 (zuerst
ca. 1936)
Beruhigung (5) »Conquette, dein Fuß ist der schönste, den ich kenne, aber er ist ein wenig groß. Dieser spitze Schuh indessen läßt ihn mir die Hälfte kleiner erscheinen.«
»Mein lieber Papa, ich weiß, wie sehr Sie ihn verehren und wollte daher diese Schuhe hier einweihen, bevor ich sie Ihnen brächte, Ihren Kamin damit zu schmücken. Sehen Sie, welch hübsche Form mein Fuß ihnen gegeben hat!«
Ich roch gierig an dem Inneren der Schuhe.
»Ah – ich rege mich schon wieder auf ... Conquette – meine liebe Conquette ... ein einziges Mal, oder ich bekomme Krämpfe!«
»Lieber Papa, stecke After und Testikel in kaltes Wasser, das wird dich beruhigen.«
Ich tat es und wurde ruhiger.
»Ich habe dasselbe Mittel eben schon einmal an wenden müssen. Trait-d'Amour war hier und wollte mich durchaus hernehmen. Da er sich nicht beruhigen konnte, habe ich ihn schließlich geleckt und seinen Samen geschlürft, was mich sehr kräftigte.«
»Ah – du bist göttlich – laß uns doch nur ein einziges Mal –«
»Wenn
es denn sein muß – meinetwegen. Aber stoße langsam, damit ich mehrmals
fertig werde und dir inzwischen etwas erzählen kann.« -
Restif
de la Bretonne, Anti-Justine
Beruhigung (6) Screamin' Jay Hawkins trug einen Zebrastreifen-Frack, einen Turban und gepunktete Schuhe. Am Anfang seiner Bühnenshow entstieg er flammensprühend einem Sarg, und er trug einen rauchenden Totenschädel namens Henry in der Hand. Aus seinen Fingerspitzen loderten Flammen, er schrie und kreischte, das Blut gefror einem in den Adern. Am Schluß nebelte er die Bühne mit dichtem, weißem Rauch ein und war verschwunden, wenn der Nebel sich aufgelöst hatte.
«Die Hälfte des Publikums haute immer gleich am Anfang schon ab, wenn ich
schreiend aus meinem Sarg stieg», sagte er. «Sie rannten in Panik die Gänge
entlang und brachten sich halb um bei dem Versuch, sich zu den Ausgängen zu
retten. Ich konnte sie nicht aufhalten. Schließlich mußte ich ein paar Jungens
anstellen, die sich mit einem Vorrat von zusammengekräuselten Gummibändern oben
auf die Galerie setzten und diese Gummibänder dann auf die Köpfe der panischen
Leute warfen. Dabei flüsterten sie: «Würmer.» - (
awop
)
Beruhigung (7)
"Regen Sie Sich nur nicht auf!"
-
Hans Reimann, nach: Kurt Böttcher, Johannes Mittenzwei, Zwiegespräch. Deutschsprachige
Schriftsteller als Maler und Zeichner. Leipzig 1980
Beruhigung (8) Thorstein geht nun zu Gisli, und
der verbirgt ihn. Dann geht Thorstein zum Borgfjord und von dort außer Landes.
Bork aber kommt nach Makelshofen und läßt Audbjörg greifen. Er nimmt sie mit
hinaus nach Salzhorn (Salmes) und steinigt sie dort. Als das geschehen ist,
zieht Gisli aus und kommt nach Nasenhof (Nefstadr). Dort nimmt er Thorgrim
Nase fest und führt ihn nach Salzhorn, und man zieht ihm ein Kalbsfell über
den Kopf und steinigt ihn und verscharrt ihn neben seiner Schwester auf der
Höhe zwischen Haukadal und Medaldal. Damit ist es ruhig und der Frühling kommt
heran. -
Gisli-Saga, nach: Die schönsten Geschichten aus Thule. München 1993.
Hg. H.M. Heinrichs
Beruhigung (9) Seinen Besuch in einem Freudenhaus
begründet Pückler seiner Frau gegenüber damit, dass ‚ein Fremder um mit Nutzen
zu reisen Alles sehen muß’. Fasziniert beschreibt er die Bequemlichkeit und
Reinlichkeit des Etablissements und erläutert ausführlich die mit einem 17-jährigen
Mädchen verbrachte Nacht. Er schwärmt von seinem Liebesabenteuer: ‚Sie war vollkommen
schön in jedem detail, dabey aber auch vollkommen unwissend, denn sie konnte
weder lesen noch schreiben, u. dabey so vollkommen dumm. Dies war mir aber gerade
recht, denn sie that aus diesem Grunde alles blindlings was ich verlangte, u.
so ließ ich sie in einem sehr behaglichen warmen Boudoir ganz nackt ausziehen,
u. alle Stellungen annehmen die ich mich von berühmten
Statuen und Gemälden erinnerte. Besonders gelang die Darstellung der Venus von
Titian, die wollüstig auf einem Ruhebett liegt u.
mit der rechten Hand einem süßen Traum nachhelfen zu wollen scheint.’ Nachher
preist er zur Beruhigung Lucies die englischen Kondome, die dünn wie Gaze und
eng anliegend wie Haut seien. -
Pückler
Beruhigung (10) Der Arzt sah mich an, während er gerade dabei war, seine Ohren zu reinigen. Er sagte: «In ein paar Stunden dürfte er, wenigstens teilweise, wieder zu Bewußtsein kommen.»
Ich rief aus: «Es gibt also noch eine Hoffnung?»
«Nein!» antwortete er trocken. «Aber die Blutegel haben in solchen Fällen immer eine gewisse Wirkung. Er wird einen Teil des Bewußtseins bestimmt wiedererlangen. Es wird vielleicht auch in Verrücktheit umschlagen.»
Er zuckte mit den Schultern und hängte das Handtuch an seinen Platz zurück. Dieses Zucken besagte offene Geringschätzung für sein eigenes Werk. Das ermutigte mich zu reden. Ich war entsetzt bei dem Gedanken, daß mein Vater aus seiner Betäubung erwachen und zum Bewußtsein seines eigenen Sterbens kommen sollte. Aber ohne dieses Achselzucken hätte ich nicht den Mut gehabt, ihm in flehentlichem Ton zu sagen:
«Doktor! Wäre es nicht eine gute Handlung, ihn nicht wieder zu Bewußtsein kommen zu lassen?»
Ich brach in lautes Weinen aus. Das Weinen war schon die ganze Zeit in meinen Nerven latent gewesen. Nun aber ließ ich mich gehen und zeigte meine Tränen, um die Verzeihung des Arztes für das Urteil, das ich über sein Werk gefällt hatte, zu erlangen.
Er sagte mit äußerster Milde: «Beruhigen Sie sich. Das Bewußtsein des Kranken
wird in solchen Fällen nie so klar, daß er seinen Zustand erkennen könnte. Er
ist ja kein Arzt. Es genügt, wenn ihm die andern verschweigen, daß er sterben
muß; dann weiß er es nicht.» -
(cos)
Beruhigung (11) Der alte Pförtner des Schlosses starb. Jakob erhielt seine Stelle und heiratete Denise. Er zeugte mit ihr immer neue Jünger Zenons und Spinozas. Desglands hatte ihn gern, sein Herr liebte ihn, und seine Frau betete ihn an. Denn so stand es dort oben geschrieben.
Man hat mir einreden wollen, sein Herr und auch Desglands hätten sich in
seine Frau verliebt. Ich weiß nicht, was an diesem Gerede Wahres ist, aber ich
bin gewiß, daß er sich am Abend sagte: Wenn dort oben in den Sternen geschrieben
steht, daß du gehörnt werden sollst, Jakob, dann kannst du dich lange dagegen
wehren, es nützt nichts, du wirst gleichwohl gehörnt. Steht hingegen dort oben
geschrieben, daß dir das nicht zustoßen soll, so können sie sich alle erdenkliche
Mühe geben, sie bringen's doch nicht fertig. Schlafe also, mein Freund . . .
Und dann schlief er ein. - (jak)
Beruhigung (12) Die Handwerker
der Gamuna haben eine ganz besondere Art zu murren: Zuerst
verfluchen sie den, der sie zum Arbeiten gezwungen hat, dann verfluchen sie
sich selbst, weil sie sich diesem Zwang unterworfen haben, dann verfluchen sie
ihren Mund, weil er etwas verflucht hat, zuletzt lachen sie ganz ordinär, um
die Reue des verfluchenden Mundes anzuzeigen. Vor allem am frühen Morgen sind
solche Litaneien überall zu Kören, wie ein ununterbrochener und ziemlich beruhigender
Gesang. Es ist auch beruhigend, manche Frauen zu sehen, die hüftenschwingend
und busenreckend an den Fenstern der Handwerker vorbeigehen,
um deren Verlangen zu reizen. Aber sobald die Handwerker zur Tür rennen, gehen
die Frauen mit ihrem behenden, schwungvollen, morgendlichen Schritt weg, der
wunderbar anzusehen ist, und singen Lieder, in denen die dümmliche Erektion
der männlichen Rute verlacht wird.
- (fata)
Beruhigung (13)
- N. N.
Beruhigung (14) Was sei effektiver, um einen anderen zu verletzen, als die Wahrheit zu leugnen, da das Leugnen der Wahrheit das Gemeinste sei, was man tun könne, und bei weitem effektiver, als einfach zu lügen, weshalb er sich nach der Tat immer noch damit habe beruhigen wollen, daß er seinem Schwager nicht von Anfang an auf den Leim gegangen sei, sondern eben nur am Schluß in der Garage, als sein Schwager den Wahrheitsgehalt der Geschichte geleugnet habe. Dieses Leugnen, wenn er es an dieser Stelle einfach noch einmal so nennen dürfe, habe ihn jedoch mit einer solchen Wucht getroffen, daß ein Gefühl in ihm aufgestiegen sei, das er bis zu diesem Moment nicht gekannt habe. Dieses Gefühl sei mehr als Wut gewesen, mehr als Verzweiflung und habe sich gleichzeitig gegen ihn selbst gewandt, da er erschüttert gewesen sei über seine eigene Naivität und Gutgläubigkeit und die Tatsache, daß gerade er, dem das System der Wünsche und Hoffnungen mehr als bewußt sei, sich für einen Moment doch etwas gewünscht und auf etwas gehofft habe. Er habe sich in diesem Moment auch nicht mit der Erinnerung an seine fast angeborene Naivität über all das hinwegtrösten können, sondern habe gemerkt, wie ihm das Blut in den Kopf geschossen und sein Atem unregelmäßig gegangen sei. Er habe etwas sagen wollen, aber es sei nur ein Krächzen aus seiner Kehle gekommen. Die vielen Biere hätten ihr übriges getan, obwohl er sich mit einem Mal völlig nüchtern gefühlt habe. Nüchtern und verzweifelt.
Als sein Schwager sich dann gebückt habe, um etwas anderes in dem Werkzeugkasten zu suchen, wahrscheinlich etwas, womit er den Streich, den er ihm gespielt habe, noch hätte erweitern wollen, da habe er den auf der Werkbank liegenden Kolben genommen und seinem Schwager diesen Kolben über den Kopf gehauen.
Die Tat selbst sei insofern merkwürdig gewesen, als er schon in dem Moment,
in dem er den Arm mit dem Kolben gehoben habe, ein Gefühl der Beruhigung verspürt
habe. Er habe sich jedoch außerstande gesehen, den Arm wieder zu senken, und
habe die Bewegung zu Ende führen müssen. Wäre sein Schwager nicht gleich durch
den ersten Schlag gestorben, so hätte er mit Bestimmtheit keinen zweiten Schlag
ausgeführt, da er danach völlig ruhig gewesen sei. Natürlich sei die Tat selbst
sinnlos, aber sie sei nicht nur sinnlos, sondern gleichermaßen einfach und unbedeutend.
Man müsse sich das Szenario nicht großartig vorstellen, so wie man sich Szenarien
immer vorstelle, sobald eine Bluttat ins Spiel komme. Es sei einfach eine Garage
gewesen und nichts weiter. Er habe seinen Schwager ins Auto geladen und habe
das Auto auf direktestem Wege zum Mühltalweiher gefahren und dort das Auto mit
seinem Schwager versenkt. Anschließend sei er in die Garage zurückgekehrt und
habe alles wieder so hergerichtet, wie es gewesen sei. Außer der Blutlache,
gegen die er nichts habe machen können, weil sich das Blut in den Betonestrich
gefressen habe. Er habe dann Motoröl über die Blutlache geschüttet und tatsächlich
habe das Motoröl das Blut überdeckt, außerdem habe es nicht länger nach verrottetem
Eisen gerochen, sondern nach Motoröl. Die leere Dose habe er danebengelegt,
dann habe er die Garage von außen verschlossen und sei heimgegangen. -
(rev)
|
||
|
||