erufswahl  Einmal haben sie uns einen Mann angeschleppt, der seinerzeit in Zaragoza eine ziemlich hohe Stellung innehatte. Seinen Namen will ich lieber nicht nennen. Er sollte erschossen werden. Durruti ließ seine Bewacher zu sich kommen und fragte sie: »Wie hat sich der Mann auf seinem Landgut benommen? Wie hat er die Landarbeiter behandelt?« Die Antwort war: »Nicht schlecht.« - »Also, was wollt ihr dann? Sollen wir ihn umbringen, nur weil er früher einmal reich war? Das ist doch Blödsinn.« Er übergab mir den Mann und sagte: »Du sorgst dafür, daß er Volksschullehrer hier im Dorf wird und anständige Arbeit leistet.« - Jesus Arnal Pena 1, in: Hans Magnus Enzensberger, Der kurze Sommer der Anarchie. Buenaventura Durrutis Leben und Tod. Roman. Frankfurt am Main 1981 (zuerst 1972, st 395)

Berufswahl  (2)   Baerwald schüttelte mir an seiner Tür die Hand und schob mich in sein Arbeitszimmer. »Ich habe zu tun, kleiner Posener, ich muß noch heute abend einen Entwurf für einen Wettbewerb für das neue Geschäftszentrum in Haifa fertigstellen. Sie wollen Architekt werden? Na, dann setzen Sie sich einfach hin und schauen zu.« Und er beugte sich über seine Zeichnungen und rezitierte ernst:

»Schön ist's, wenn der Held, beherzt,
Nächtlich seinen Grundriß schwärzt.«

Er zeichnete, und ich sah zu. Nach einer Weile sagte er: »Ich mache hier kleine, halbrunde Schnörkel. Das sind Urinale: wissen Sie, für Männer, um Pipi zu machen. Aber das Entscheidende ist, ich weiß, warum sie dahin gehören, wie viele es sein müssen und welche Größe sie haben müssen.« Er fuhr fort zu zeichnen und stellte mir Fragen über den Zionismus, über Heinz, über meinen Vater. Nach ungefähr einer halben Stunde drehte er sich zu mir um. »Nun, kleiner Posener, so wird das gemacht. Könnte Ihnen das gefallen?« - »Ganz sicher!« rief ich. Meine Entscheidung war gefallen. - Julius Posener, Heimliche Erinnerungen. München 2004

Berufswahl  (3)  Glaube nicht, daß ich wegen der Wahl eines Berufs unentschlossener wäre. Ich bin fest entschlossen, keinen auszuüben, denn ich verachte die Menschen zu sehr, um ihnen Gutes oder Böses zu tun.

Ich werde auf alle Fälle Jura studieren, ich werde meine Zulassung als Anwalt erlangen und sogar meinen Doktor machen, um ein Jahr länger bummeln zu können. Es ist sehr wahrscheinlich, daß ich niemals plädieren werde, es sei denn, es handle sich darum, einen sehr berühmten Verbrecher zu verteidigen oder um eine entsetzliche Untat.  - Flaubert an Ernest Chevalier, 24. Februar 1839, nach (flb)

Berufswahl  (4)  Ein junger Officier will gern heyrathen und spricht darüber mit seinem Bruder, welcher ihm sein Vorhaben auszureden sucht. Er bleibt aber bey seinem Entschlusse und verliebt sich erstlich in ein reiches Mädchen, was er nicht gesehn hat; alsdann da ihn diese ausschlägt und er sich sehr darüber betrübt, in ein anderes artiges Frauenzimmer, ohne Vermögen, dann in eine reiche ältere Person, die ihn aus Gewissenszweifeln ausschlägt und Herrnhutherinn wird. So gelangt er nach dreyfacher Betrübniß zur Ruhe und Zufriedenheit mit seinem Stande und wird ein großer Dichter.   - Novalis, Novellenplan

Berufswahl  (5)   Als ich neulich auf dem Landgut eines meiner Verwandten in Armagnac weilte, sah ich einen Bauern, den jedermann mit dem Übernamen: der Dieb nennt. Er erzählte so seine Lebensgeschichte: da er als Bettler geboren sei und sich gesagt habe, wenn er sein Brot mit seiner Hände Arbeit verdienen sollte, so würde er niemals dahin gelangen, sich hinlänglich vor Not zu sichern, sei er darauf verfallen, sich dem Diebstahl zu widmen; und habe dieses Handwerk seine ganze Jugend hindurch dank seiner Leibesstärke mit aller Sicherheit getrieben: denn er erntete auf fremden Ackern und Weinbergen, aber in solcher Entfernung und in so großen Haufen, daß niemand glauben konnte, ein Mensch habe in einer Nacht so viel auf seinen Schultern davontragen können; und überdies trug er Sorge, den Schaden, den er anrichtete, gleichmäßig zu verteilen und weit zu streuen, so daß die Einbuße für jeden Einzelnen leichter zu ertragen war. Er ist heute in seinen alten Tagen für einen seines Standes ein reicher Mann, dank diesem Gewerbe, aus dem er gar kein Hehl mehr macht; und um sich über diesen Erwerb mit Gott auszusöhnen, ist er, wie er sagt, täglich darauf bedacht, mit Wohltaten die Nachkommen derer schadlos zu halten, die er bestahl; und wenn er damit nicht zu Ende kommt (denn es auf einmal zu tun, ist er nicht imstande), wird er es seinen Erben auftragen, gemäß seiner Kenntnis des Schadens, den er einem jeden zugefügt hat, und die nur er allein besitzt. Nach dieser Schilderung, sie sei nun wahr oder falsch, betrachtet der Mann den Diebstahl als ein ehrenrühriges Tun und verabscheut ihn, aber nicht so sehr wie die Armut; er bereut ihn wohl, an sich selbst betrachtet, aber insofern er solchermaßen aufgewogen und abgegolten wäre, bereut er ihn nicht.  - (mon)

Berufswahl  (6)  VALERIO. Nun, Sie sollen König werden. Das ist eine lustige Sache. Man kann den ganzen Tag spazieren fahren und den Leuten die Hüte verderben durchs viele Abziehen; man kann aus ordentlichen Menschen ordentliche Soldaten ausschneiden, so daß alles ganz natürlich wird; man kann schwarze Fräcke und weiße Halsbinden zu Staatsdienern machen; und wenn man stirbt, so laufen alle blanken Knöpfe blau an, und die Glockenstricke reißen wie Zwirnsfäden vom vielen Läuten. Ist das nicht unterhaltend?

LEONCE. Valerio! Valerio! Wir müssen was anderes treiben. Ratel

VALERIO.  Ach, die Wissenschaft, die Wissenschaft! Wir wollen Gelehrte werden! A priori? oder a posteriori?

LEONCE. A priori, das muß man bei meinem Herrn Vater lernen; und a posteriori fängt alles an, wie ein altes Märchen: es war einmal.

VALERIO. So wollen wir Helden werden! Er marschiert trompetend und trommelnd auf und ab. Trom - trom - pläre - plem I

LEONCE. Aber der Heroismus fuselt abscheulich und bekommt das Lazarettfieber und kann ohne Leutnants und Rekruten nicht bestehen. Pack dich mit deiner Alexanders- und NapoleonsromantikI

VALERIO. So wollen wir Genies werden!

LEONCE. Die Nachtigall der Poesie schlägt den ganzen Tag über unserm Haupt, aber das Feinste geht zum Teufel, bis wir ihr die Federn ausreißen und in die Tinte oder die Farbe tauchen.

VALERIO. So wollen wir nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft werdenI

LEONCE. Lieber möchte ich meine Demission als Mensch geben.

VALERIO. So wollen wir zum Teufel gehen!

LEONCE. Ach, der Teufel ist nur des Kontrastes wegen da, damit wir begreifen sollen, daß am Himmel doch eigenüich etwas sei. Aufspringend: Ah, Valerio, Valerio, jetzt hab ich's! Fühlst du nicht das Wehen aus Süden? Fühlst du nicht, wie der tiefblaue, glühende Äther auf und ab wogt, wie das Licht blitzt von dem goldnen, sonnigen Boden, von der heiligen Salzflut und von den Marmorsäulen und -leibern? Der große Pan schläft, und die ehernen Gestalten träumen im Schatten über den tiefrauschenden Wellen von dem alten Zaubrer Virgil, von Tarantella und Tamburin und tiefen, tollen Nächten voll Masken, Fackeln und Gitarren. Ein Lazzaronil Valerio, ein Lazzaronil Wir gehen nach Italien.   - Georg Büchner, Leonce und Lena

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