eifahrer  Sie fährt. Es staubt. Die Sonne scheint ihr ins Gesicht. Sie blinzelt nicht. Kann sein, sie wird bald tot sein. Sie trägt einen Ring. Ihr Gürtel ist breiter. Am breitesten ist ihr Mund. Ich streichle sie. Sie merkt nichts. Vielleicht ist sie ein Mann? In ihrem Herzen blüht eine weiße Lilie. Ihre Rippen sind scharf wie ein Messer. Du stinkst. Sie dreht das Lenkrad. Die Straße ist gerade. Neben der Straße liegt ein Totenschädel. Dort noch einer. Die Felder sind grau und gelb. Da steht ein Baum, voll welker Blätter. Die Blätter klimpern. Im Baum, da hing ein schwarzes Schwein. Es war aufgeschlitzt. Die Därme quollen heraus. Wer wird sie waschen? Auf einer Stange sitzt eine Eule in der hellen Sonne. Meine Freundin hat einen kleinen Leberfleck in der Grube überm Schlüsselbein. Sie fährt jetzt schneller. Meine Mutter hat geraucht, eine Zigarette nach der andern. Einmal habe ich sie dafür geschlagen, im Traum. Ein andermal wurde sie operiert, aber dreizehn Krankenschwestern versperrten mir den Zugang. Wo wird sie heute übernachten? Ein leeres Bett wartet schon irgendwo auf sie, oder auch nicht. Sie ist hungrig. Um ihre Nasenlöcher ist ein Staubsaum. Sie ist allein. Ich habe sie immer nur allein gesehen, außer auf den Photos. Mit anderen zusammen ist sie nicht wiederzuerkennen. Sie spielt das Zusammensein. Und sie spielt nicht sehr gut. Mit mir zusammen würde sie besser spielen. Und besonders schlecht spielt sie auf den Bildern in Gesellschaft einer Frau. Ich finde sie darauf entstellt und häßlich. Oder nein, nicht häßlich, schlimmer, eine schöne Fratze. Und erst ihre Gebärden und Haltungen gegenüber der äandern. Wie sie mit fünf Händen fuchtelt und mit zwei Köpfen ruckelt und von einem Fuß auf den andern tritt, zappelnd wie eine Tausendfüßlerin, und in einem fort die Hüften abknickt wie eine automatisierte Schneiderpuppe. Mein Vater war ein Schneider, unten in New Orleans, und noch immer hängen ein paar nicht abgeholte Anzüge und Änderungssachen in seinem aufgelassenen Laden. Und trotzdem, nichtsdestotrotz, nichtsdestoweniger und gleichwohl möchte ich sie in ihrer Geschichte endlich einmal mit jemandem sehen. Vielleicht verträgt sie ja bloß das Photographiertwerden nicht? Obwohl sie in ihrer Jugend ein Filmstar war? Obwohl oder gerade deswegen? (Diesen Ausdruck habe ich aus der Zeit, da meine Eltern »Radio Neues Europa« hörten.) Sie mit jemandem zusammensehen, wo sie um eins, um hundert mehr wäre als jetzt für sich allein.

Sie fährt. Es staubt mehr und mehr. Die Sonne scheint ihr in den Nacken. Sie steckt sich die Haare hinauf. Sie zieht sich das Hemd über die Schulter. Ihre Knie sind spitz wie Dolche. Sie umschließt mich mit den Beinen und holt mich heim in sich. Dort krümme ich mich selig. - Peter Handke, Der Bildverlust. Frankfurt am Main 2002

Beifahrer (2)

- Nan Goldin [?]

Beifahrer (3) »Was in dieser Nacht neben dem Fahrer saß, war ein Toter«, sagte ich ihm. »Seltsam, daß du nie von dem Gewerbe des Leichentransports Mitte der dreißiger Jahre gehört hast, es handelte sich insbesondere um Tuberkulosekranke, die in den Sanatorien in Córdoba starben und die die Familie in Buenos Aires begraben wollte. Transitgebühren des Bundeslandes oder etwas dergleichen machte die Überführung der Leiche überaus teuer; daher kam man auf die Idee, den Toten etwas zu schminken, neben den Fahrer in ein Auto zu setzen und die Strecke von Cordoba nach Buenos Aires mitten in der Nacht zurückzulegen, um vor Morgengrauen die Hauptstadt zu erreichen. Als man mir von der Sache erzählte, war mir geradeso zumute wie dir; dann habe ich versucht, mir die mangelnde Einbildungskraft der Burschen vorzustellen, die sich auf diese Weise ihr Brot verdienten, doch wollte mir das nicht gelingen. Kannst du dir dich in einem Wagen vorstellen, allein mit einem Toten, der an deiner Schulter lehnt, während du mit hundertzwanzig Sachen in der Stunde durch die Einsamkeit der Pampa fährst? Fünf oder sechs Stunden, in denen soviel passieren konnte, denn eine Leiche ist nicht so steif, wie man denkt, und ein Lebender kann nicht so dickhäutig sein, wie man das glauben möchte. Doch ein angenehmeres Korollarium, während wir noch ein Gläschen Wein trinken: Mindestens zwei von denen, die in diesem Gewerbe gearbeitet haben, wurden später große Rennfahrer. «  -  Julio Cortázar, Ende der Etappe. Die Erzählungen Bd. 4. Frankfurt am Main 1998

Beifahrer (4)

- Thomas Körner

 

Fahrer

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme